Was ist Demokratie
Feierliches und beinahe Heiliges. Tatsächlich ist die Bedeutung von Wahlen für die Demokratie auch heute noch so groÃ, dass man sie als Teil von deren zivilreligiösem Kern bezeichnen kann. Dasspiegelt sich inzwischen aber weniger in dem Wahlakt des einzelnen Bürgers (der zudem durch die Briefwahl diffuser wird) als vielmehr in der medialen Inszenierung der Wahl bzw. ihrer Ergebnisse im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, wenn um kurz vor 18 Uhr, mit der SchlieÃung der Wahllokale, die Uhr zur ersten Prognose heruntertickt und sich daran allerlei Rituale bis zur «Elefantenrunde» der Spitzenkandidaten und dem Kommentar des Chefredakteurs als Predigtersatz anschlieÃen.
Wahlen haben sich stets verändert. In Deutschland sinkt seit etwa vier Jahrzehnten die Wahlbeteiligung. Das ist ein kritisches Zeichen vor allem für den Einschluss derer in die Demokratie, die den Wahlen fernbleiben: ärmere und weniger gebildete Schichten. Von Wahlmüdigkeit kann aber grundsätzlich nicht die Rede sein; viele fordern mehr direkte Partizipation an der Urne, in Volksbegehren und Volksentscheiden, und der Trend geht in diese Richtung. Trotz ihrer Vorliebe für das Verhältniswahlrecht wollen die Deutschen auch ein engeres Verhältnis zu den Kandidaten, denen sie als Personen politisches Vertrauen geben. In den Kommunalwahlen der meisten Bundesländer kann bereits «panaschiert» und «kumuliert» werden: Mehrere Stimmen werden auf verschiedene Kandidaten verteilt oder auf einen «gehäufelt», der oder die dadurch in der Liste nach vorne rücken soll. Auch hier ist eine Revolution nicht absehbar, aber eine Ausweitung auf Landtagswahlen schon im Gange. Der Wahlakt dagegen wird eher unpersönlicher werden, weil eine digitale Stimmabgabe als nächster Schritt auf die Briefwahl folgt. Unpersönlicher heiÃt aber nicht unpolitischer, denn in «sozialen Netzwerken» des Internets kann auch jene Intimität durchbrochen werden, die das Wahlverhalten längere Zeit gekennzeichnet hat. In globaler Perspektive behalten Wahlen erst recht ihre zentrale Bedeutung. Egal, in welchem kulturellen Umfeld oder in welcher religiösen Tradition man sich bewegt: Die Forderung nach freien Wahlen gehört überall zum Kernbestand dessen, was Menschen in Diktaturen und autoritären Regimen fordern und in demokratischen Transformationsprozessen etablieren wollen, auch wenn sich Wählen, wie die Demokratie insgesamt, nicht von heute auf morgen lernen lässt. Werden wir auch in fünfzig Jahren noch wählen? Mit ziemlicher Sicherheit.
6 Rechtsstaat und Demokratie
Der Rechtsstaat ist bisweilen zur abgedroschenen, nichtssagenden Formel geworden. Gleichzeitig erregt er aber auch hitzigen Streit, wenn es heute darum geht, ob die DDR als sein Gegenteil, als ein «Unrechtsstaat», zu verstehen sei. Und in den Debatten über die Transformation autoritärer Regime und die Stabilisierung von «failing states» heiÃt es häufig, man müsse zunächst einmal rechtsstaatliche Strukturen schaffen, wie eine erste Stufe, noch im Vorhof der eigentlichen Demokratie. In all diesen Varianten eines in der Tat schillernden und komplizierten Begriffes schwingt ein Stück von der Geschichte des Rechtsstaates und seines Verhältnisses zur Demokratie mit. Bis in die griechische und römische Antike, etwa zu Aristoteles, lässt sich der Gedanke zurückverfolgen, eine gute Regierung sei nicht die von Menschen, sondern von Gesetzen. Das römische Recht stellte bereits ein weit verzweigtes Arsenal «positiven», das heiÃt in Gesetzesform gemachten Rechts zur Verfügung, das den Menschen in Privatverhältnissen oder Geschäftsdingen Berechenbarkeit und Sicherheit gab.
Zwischen französischer Aufklärung und Amerikanischer Revolution gehörte es zu den wichtigsten Prinzipien des politischen Denkens, die Republik als eine gesetzmäÃige Herrschaft zu verstehen. Am Anfang seines «Contrat Social» definierte Rousseau die Republik geradezu als «Staat, der durch Gesetze regiert wird». Darin klang die alte Vorstellung von einer Republik, die nicht im modernen Sinne auf Volkssouveränität beruhen musste, noch ebenso mit wie bei dem amerikanischen «Gründervater» John Adams, der 1776 festhielt: «A republic is a government of laws, not of men.» Und Montesquieus «Vom Geist der Gesetze» hatte das erst recht zur Leitmaxime
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