Was ist Demokratie
Ãffentlichkeit immer wieder auf solche Erweiterung gezielt, auf die Inklusion vermeintlich nicht meinungs-, sprach-, politikfähiger Gruppen. Die aufgeklärt-elitäre Ãffentlichkeit war ganz überwiegend eine männliche Angelegenheit, auch wenn Frauen wie Rahel Varnhagen in ihren Salons und Gesprächskreisen schon um 1800 vereinzelt eine wichtige Rolle spielten. Im 19. und 20.Jahrhundert wurden Frauen teilweise sogar erst recht unter Hinweis auf die häusliche und private Sphäre, in der ihr natürlicher Wirkungskreis liege, aus der männlichen Domäne der Ãffentlichkeit verdrängt. Aber dennoch suchten und fanden sie immer wieder Wege in die öffentliche Betätigung: in Reformbewegungen und sozialen Aktivitäten, in Vereinen und Veröffentlichungen; schlieÃlich auch mit dem Anspruch auf Teilhabe an «der» Ãffentlichkeit und den politischen Rechten der Demokratie.
Dennoch lässt sich die Geschichte der Ãffentlichkeit nicht einfach als Siegeszug immer weiterer Ausdehnung beschreiben. Schon Habermas verwies 1962 mit dem «Strukturwandel» auf bedenkliche Veränderungen und Gefährdungen. Wenn Bürger sich gegen den Staat, jedenfallsunabhängig vom Staat organisieren, tun sie das zunächst einmal privat. Private Interessenverfolgung aber kann auch gewinnorientiert, kommerziell, kapitalistisch sein. Eine Zeitung, wenn sie nicht vom Staat unterhalten wird, muss profitabel sein, um der Ãffentlichkeit ein Forum zu bieten. Zu den Prinzipien der Ãffentlichkeit kann das aber auf mehrfache Weise in Spannung geraten. Die politische Richtung des Eigentümers kann sich in den Vordergrund drängen, so wie das im 20. Jahrhundert den groÃen Zeitungs- und Medienkonzernen immer wieder vorgehalten wurde, von Alfred Hugenberg in der Weimarer Republik über Axel Springer bis zu Rupert Murdoch. Politische Ãberzeugungen und Argumente verwandeln sich in Handelsware, und das kommerziell erfolgreichere «Produkt» droht sich durchzusetzen.
Im Streben nach einem Erfolg im Massenpublikum geht â so eine weitere Befürchtung â überhaupt der politische, und damit auch machtkritische, Kern von Ãffentlichkeit verloren. Oberflächliche Unterhaltung tritt an die Stelle politischer Auseinandersetzung, möglicherweise sogar als eine bewusste Strategie herrschender Klassen zur Entpolitisierung, Manipulation und Ruhigstellung eines sonst aufmüpfigen Volkes. So hat besonders die neomarxistische «Frankfurter Schule» immer wieder argumentiert, seit Theodor W. Adorno und Max Horkheimer im amerikanischen Exil der 1940er Jahre, im Angesicht Hollywoods, ihre Kritik der modernen «Kulturindustrie» verfassten. Darin steckte unverkennbar auch ein elitär-bildungsbürgerlicher Hochmut gegenüber Massenunterhaltung und Kommunikationstechnik, die tatsächlich â spätestens seit dem 18. Jahrhundert â immer wieder auch kraftvolle Hebel der sozialen Ausdehnung von Ãffentlichkeit gewesen sind.
Die Sorge bleibt berechtigt, weil Horkheimer und Adorno als Flüchtlinge des «Dritten Reiches» eine besonders gefährliche Mutation beobachteten: nämlich die Inszenierung einer Schein-Ãffentlichkeit der Diktatur in Medien und auf Massenveranstaltungen wie den Nürnberger Reichsparteitagen der NSDAP. Ein solches Publikum ist zur nur noch Beifall gebenden, zur «akklamatorischen» Ãffentlichkeit verkommen. In Demokratien des späteren 20. Jahrhunderts sind die Gefahren oft stiller. Unter dem Einfluss der Meinungsforschung schrumpft die Ãffentlichkeit manchmal zur «öffentlichen Meinung», zur demoskopischen Messung von Einstellungen, die mit dem Streit von Argumenten ebenso wenig zu tun hat wie mit Kritik, aber dennoch politische Entscheidungen â immer im Angesicht der nächsten Wahlen! â zu treiben droht. Dem steht aber eine bemerkenswerte Regenerations- und Erfindungskraftgegenüber, die im letzten halben Jahrhundert neue Medien â von alternativen Zeitungsprojekten bis zu politischen Webforen â ebenso hervorgebracht hat wie neue Formen der Präsenzöffentlichkeit, vom «Sit-In» der 1960er Jahre bis zum «Flashmob» unserer Tage.
So ist die enge, wenngleich nicht konfliktlose Verbindung von Ãffentlichkeit und Demokratie in den letzten zwei bis drei Jahrhunderten kaum schwächer, wahrscheinlich sogar enger geworden. Die häufig geschriebenen
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