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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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Erziehung prägen, während andererseits die Demokratie der Erziehung bedürfe; anders gesagt: die Bürgerinnen und Bürger zur Demokratie erzogen werden müssten. «Weil eine Demokratie das Prinzip externer Autorität ablehnt», schrieb Dewey 1916, «muss sie einen Ersatz in freiwilliger Neigung und Interesse finden; beides kann nur durch Erziehung entstehen.» Der französische Soziologe Emile Durkheim entwickelte zur selben Zeit ähnliche Gedanken: Der Mensch war frei geboren, aber in dieser Freiheit hilflos und zur Gesellschaft unfähig; erst die Erziehung vermittelt ihm Maßstäbe von Gut und Böse und des guten Zusammenlebens.
    Nach der NS-Diktatur ist die Erziehung zur Demokratie in Deutschland sogar zu einem sehr praktisch wirksamen Konzept geworden. Entnazifizierung und demokratische «re-education» sollten vor allem für die Amerikaner Hand in Hand gehen. Die Deutschen hatten nicht nur die demokratischen Institutionen und Spielregeln über Bord geworfen, sondern waren auch, so die Diagnose, tatsächlich zu Nazis geworden und mussten die Demokratie folglich erst wieder unter Anleitung lernen, eben zu ihr erzogen werden. Diese Sichtweise trat in der Bundesrepublik der 50er Jahre, als der institutionelle Aufbau der Demokratie inGrundzügen abgeschlossen war, zwar wieder in den Hintergrund; im Blick auf die Ursachen des Nationalsozialismus wirkte er aber teilweise nach, vor allem in der Deutung der Weimarer Republik als einer «Demokratie ohne Demokraten». Daraus leiteten sich auch ganz konkrete Erziehungs- und Bildungsprojekte ab. Der demokratische Staat wollte selbst dafür sorgen, auch außerhalb der Schulen, dass die Bürgerinnen und Bürger sich für die Demokratie interessierten und aktiv in ihr engagierten. Deshalb entstand 1952, aus einem Weimarer Vorläufer, die Bundeszentrale für politische Bildung und hat heute den ausdrücklichen Auftrag, «das demokratische Bewusstsein zu festigen und die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit zu stärken». Insofern nimmt die Demokratie ganz ausdrücklich eine Parteilichkeit zu ihren eigenen Gunsten in Anspruch; sie ist sich selber gegenüber nicht neutral – sonst müsste sie sich ja darauf beschränken, allgemein über Politik zu informieren und die Bürger mit allen denkbaren Staatsformen vertraut zu machen, ohne die Demokratie dabei zu bevorzugen.
    Das ist in einer freien Gesellschaft ein Balanceakt. Einer berühmt gewordenen Feststellung des Verfassungsrechtlers Ernst-Wolfgang Böckenförde zufolge lebt «der freiheitliche, säkularisierte Staat (…) von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann». Vor der Französischen Revolution hätten sich die Monarchien ihre Legitimation selber beschaffen können, oft unter Rückgriff auf religiöse Begründungen wie das Gottesgnadentum der Herrschaft. Diese Voraussetzungen sind entfallen; die Gesellschaft ist zudem vielfältiger geworden, und ihre Individuen lassen sich nicht mehr auf einen einheitlichen Zweck verpflichten. Böckenförde sieht darin ein Wagnis, das der Staat «um der Freiheit willen» eingegangen ist. Demokratie wäre also auf die Unterstützung durch gute Bürgerinnen und Bürger angewiesen, aber sie kann niemanden zu dieser Unterstützung oder zu einer demokratischen «Tugend» verpflichten. Manche sehen eine Lösung des Problems in der Berufung auf gemeinsame Werte. Doch ist dann wieder offen, woher diese Werte kommen und wer sie – gegen die Freiheit? – verbindlich zu machen versucht. Führt die Begründung der Demokratie in Werten zu einer «Tyrannei der Werte», vor der Carl Schmitt 1967 gewarnt hat? Oder lässt sie sich, mit Hans Joas, gerade demokratisch rechtfertigen, weil Werte in der freien Erfahrung des Individuums entstehen und in einer freien Öffentlichkeit kommuniziert werden? So bleibt am Ende die Erkenntnis, dass sich die Frage nach dem guten Bürger nicht eindeutig beantworten lässt. Das heißt aber nicht, dass wir im Nebel stochern,sondern wir wissen sehr genau: Die Spannung zwischen guten, gemeinwohlbezogenen Bürgern und freien Individuen, denen Politik völlig egal ist, gehört zur Demokratie wie zu keiner anderen Regierungs- und Lebensform von Anfang an dazu.
11 Öffentlichkeit:
Marktplatz der Meinungen, Kritik der Macht
    Im demokratischen Verständnis soll Politik das sein, was alle

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