Was ist mit unseren Jungs los
Schuljahres und vor dem Eintritt in die nächsthöhere Schulstufe den Kontakt zu einem Schüler oder einer Schülerin, der oder die einen älteren Bruder in der Sekundarschule hatte. Der Grund wurde uns klar, als wir mit den Sekundarschülern sprechen konnten: Neueintretenden Schülern und Schülerinnen wurde in den ersten paar Wochen das Portemonnaie gestohlen. Auf geheimnisvolle Weise wurde es nach zwei bis drei Tagen wieder gefunden, fast immer von einem Schüler einer höheren Klasse. »Gehört dir das?«, sprach jener den Schüler dann an, dem das Portemonnaie abhanden gekommen war. »Du kannst es haben!« Der jüngere Schüler nahm den Geldbeutel in Empfang. Natürlich war der Inhalt verschwunden. »So, und was ist mit dem Finderlohn?«, schnauzte nun der ältere Junge den jüngeren Schüler an. »Entweder du gibst mir jetzt fünf Franken oder morgen zehn! Verstanden!« Der Zweck solcher Diebstähle wurde uns klar, als wir die fordernden Jungen genauer unter die Lupe nahmen. Sie gehörten einer Clique an, die sowohl im Stadtviertel als auch in der Schule das Sagen hatte. Sie bestimmten, für wen auf der Treppe vor dem Schulhaus die Sonnenplätze reserviert waren und wer die Geräte benützen durfte. Neueintretenden Schülern musste klar gemacht werden, wer in der Schule den Ton angab. Der Stehlakt hatte die Funktion, den neuen Schülern die Machtverhältnisse klar zu machen. Für uns war erstaunlich, dass die Lehrerschaftnichts von diesen Machtspielen wusste. Für die Schüler und Schülerinnen war sie in der Schule wenig präsent, wurde eher als Beiwerk wahrgenommen. Es war klar, dass man sich nach den wirklichen Machtträgern richten musste, wenn man in der Schule überleben wollte.
Den Kindern der Grundschule war das Treiben dieser Bande bekannt. Sie befürchteten, dieser Bande in der Sekundarschule ausgeliefert zu sein. Man wusste, dass diese bestimmten, wer den Zebrastreifen vor dem Schulhaus benutzen durfte und wer Anrecht auf einen Sonnenplatz auf der Pausentreppe hatte. Es herrschte ein strenges Regime. Die Schüler der Primarschule wappneten sich jedoch: indem sie sich mit einem Schüler oder einer Schülerin anfreundeten, der oder die einen älteren Bruder in der Sekundarschule hatte. Kurz nach Eintritt in die neue Schule wurde man von diesem Bruder eines Klassenkameraden ostentativ begrüßt. Den Arm locker über die Schultern gelegt, durchschritten dann beide die Korridore und den Pausenhof der Schule. »Dies ist mein Freund!«, wurde jedem zugeraunt, der es wissen wollte. Der neueintretende Schüler wurde beschützt und genoss größere Freiheiten. Er musste der Gang nicht gehorchen.
Schulen sind Territorien, in denen spezifische Regeln und Normen herrschen. Es handelt sich um einen halböffentlichen Lebensraum. Wenn Kinder oder Jugendliche in die Schule eintreten, dann wollen sie wissen, welche Codes gelten. Sie wissen, dass sie nicht tun und lassen können, was sie wollen, sondern Regeln respektieren müssen. Die überwiegende Mehrzahl hält darum vor allem bei Schulbeginn Ausschau nach den effektiven Machtträgern im Territorium Schule. Natürlich sollte es sich dabei um die Lehrerschaft handeln. Leider kommt es jedoch vor, dass andere Gruppierungen die Macht an sich reißen und damit Auseinandersetzungen des Wohnviertels in die Schule hineingetragen werden.
Schüler frühzeitig einbinden: die Hartford Methode
Cliquen, die eine Schule zu ihrem Herrschaftsgebiet erklären, können zu einem Sicherheitsproblem werden. Wenn ihnen die Schule überlassen wird, dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit der Gewalt. Das Geschehen in der Schule ist nicht mehr kontrollierbar und die Schüler verlieren das Vertrauen in die Lehrerschaft. Instinktiv beginnen sie sich nach den älteren Jugendlichen auszurichten und ignorieren die Erwachsenen. Um eine solche Entwicklung zu verhindern, sollte man sich vom ersten Schultag an die Zeit nehmen, die neuen Schüler positiv in die Schule einzubinden. Die Integration der neuen Schüler und Schülerinnen gelingt jedoch kaum über durchorganisierte Willkommensveranstaltungen, Ansprachen von Schulleitern und die persönliche Vorstellung der Lehrer. Die Schüler und Schülerinnen müssen vor allem das Gefühl haben, dass sie persönlich in der Schule willkommen sind und als Individuum wahrgenommen werden. Viele haben den Eindruck, dass sie bereits viel erlebt haben und eigene Ideen und Interessen mitbringen. Sie treten nicht als Schüler oder Schülerinnen ein, sondern
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