Was ist mit unseren Jungs los
reagieren. Diese Überzeugung vertreten wir, auch wenn uns bewusst ist, dass es Gewalt natürlich immer geben wird und auch Situationen, in denen ein Gewalteinsatz legitimiert ist. Gewalt ist auch Teil unserer Seele. Es gilt aber, Gewalt zu verhindern, wo sie nicht angebracht ist. Man raubt keinen Kumpel aus, weil er schlecht über einen redet oder schlägt aus Langeweile auf einen armseligen Pennerein. Die Botschaft muss sein: Konflikte sind normal, sich vehement zu wehren oft notwendig und seine Wut auszudrücken gesund. Wir dürfen gegen jemand sein, eine andere politische Haltung vertreten oder eine Gruppierung ablehnen, doch niemand hat das Recht, aus Rachegefühlen oder Aggressionslust loszuschlagen.
Unser AAT-Programm beginnt mit einer Begegnung zwischen uns und dem Jungen. Meistens sehen wir ihn zu zweit. Er kommt zu uns, weil er vom Jugendgericht die Auflage erhält, dieses Training zu absolvieren. In der ersten Sitzung geht es darum abzuklären, ob er wirklich gewillt ist, an sich zu arbeiten und sich auf das AAT-Programm einzulassen. Bevor wir das Erstgespräch mit einem Jungen führen, müssen wir über seine Taten genau im Bild sein. Ausgangspunkt sind die konkreten Vorfälle , wie sie von der Polizei, der Schule, den Sozialarbeitern oder anderen Bezugspersonen geschildert werden. Wir erhalten die Akten vom Jugendgericht, studieren die Vorfälle und die Protokolle der Gerichtsverhandlungen. Die Aussagen der Jugendlichen, der Opfer und eventueller Zeugen sind wichtig, weil wir uns so auf die Vorfälle einstimmen können. Der Junge darf für uns kein unbeschriebenes Blatt sein, sondern wir konfrontieren ihn mit unserem Wissen über ihn: Uns ist bekannt, dass er einen Lehrer attackiert hat, auf einen Polizisten losging oder jemanden im Rausch am Bahnhof zusammenschlug. Wir werden von diesen Hintergrundinformationen über die Jugendlichen beeinflusst. Oft sind wir entsetzt, wenn wir lesen, dass ein Siebzehnjähriger wegen des angemeldeten Jungen einen dauerhaften Gehörschaden davontragen wird und der Junge sich nicht einmal die Mühe gegeben hat nachzusehen, ob sein Kontrahent nach seinen Faustschlägen aufstehen konnte. Bei anderen Jugendlichen sind wir verwirrt: Wie war es möglich, dass der sonst anständige kaufmännische Lehrling seinen Stiefvater attackierte, dass ein Gymnasiast meinte, einem Rivalen auflauernund ihn zusammenschlagen zu müssen! Emotionen steigen in uns auf, wir leiden mit den Opfern, die sich nicht mehr trauen, nach draußen zu gehen oder sich nach einer Attacke kaum mehr in eine Straßenbahn wagen.
Beim AAT-Programm geht es nicht primär um das Benehmen während der Sitzungen, sondern um das Verhalten draußen . Im Fokus bleibt für uns das Verhalten der Jugendlichen beim Ausgang, nach einem Trinkgelage, im öffentlichen Verkehr oder nach einem sportlichen Großereignis. Während der therapeutischen Sitzungen können sich Jugendliche anpassen und es gibt immer solche, die täuschen . Während der Sitzungen betonen sie ihre Friedensbereitschaft und Einsicht, draußen zeigen sie ihr wahres Gesicht. Wir befassen uns auch mit den aktenkundigen Vorfällen, um nicht durch unsere Empathie irregeleitet zu werden. Man kann den schlimmsten Gewaltverbrecher verstehen und sich in seine Beweggründe einfühlen. Aus der Innensicht wird manches Verbrechen zu einem harmlosen Missgeschick oder Unfall. Mit Hilfe unserer Empathie können wir nachvollziehen, dass jemand sich nur gewehrt hat, nachdem er sich durch einen Ausländer bedroht gefühlt hat oder wegen einer verbalen Beleidigung tief verletzt war. Bei der Arbeit mit Gewalttätern hilft darum Empathie allein nicht weiter. Wir dürfen die Taten nicht aus dem Blick verlieren. Es muss uns bewusst sein, dass vor allem skrupellose Menschen ihre wirklichen Motive zu verstecken wissen. Oft verfügen sie über eine hohe Sozialkompetenz, die ihnen hilft, ihre Schattenseiten zu verbergen. 130 Wir werden getäuscht. Solche Jugendliche wirken im Einzelkontakt zugänglich, nett und wir können uns nicht im Traum vorstellen, dass sie eine Gewalttat begangen haben. Man muss sich darum immer wieder die Taten in Erinnerung rufen, um nicht durch Charme, Schmeicheleien oder taktische Manöver hinters Licht geführt zu werden. Wir alle laufen Gefahr, geschickten Tricksern auf den Leim zu kriechen.
In der Nacht habe er Angstattacken und außerdem verfolge ihn immer wieder eine Erinnerung aus der Kindheit, gestand der Gefangene einem Betreuer. Er wolle an sich
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