Was kostet die Welt
»Balance«, »Beständigkeit« und »Eigenheit«, von »Selbstverwirklichung« und »Gaumenkitzel«. Und ich denke die ganze Zeit nur eins: Geil, saufen.
Saufen. Picheln. Bechern. Ballern. Zischen. Zoschen. Zechen. Zwitschern. Schlucken. Schütten. Schürbeln. Trinken. Tanken. Einen heben. Sich volllaufen lassen, die Kante geben, abfüllen, wegbeamen, die Lampen anschalten, einen reinschrauben, einen brennen, einen hinter die Binde gieÃen.
Dieses angenehme Kreiseln im Kopf. Endlich mal wieder. Erst jetzt, da mein Hirn in die weichen Laken des Alkohols gebettet wird und meine Muskeln sich lockern, fällt mir auf, wie angespannt ich den ganzen Tag war. Ich zünde mir eine Zigarette an, und der erste Zug schmeckt so gut wie lange nicht. Ich inhaliere tief und behalte den Rauch in der Lunge, bevor ich die blaue Wolke genüsslich wieder ausatme.
Das Beste auf der Welt ist die Zigarette zum Schwips. Der Rausch zum Rausch. Manchmal kommt es mir vor, als ob Rauchen das Atmen erst wirklich lohnenswert macht. Nikotin, die süÃe Veredelung einer an sich völlig langweiligen Lebensnotwendigkeit.
»Eigentlich ist hier Nichtraucher«, sagt Flo. Er macht ein Gesicht, das man sich lieber für die Bekanntgabe von schweren Krankheiten und Todesfällen aufsparen sollte.
»Oh,âtschuldigung, da habe ich gar nicht drauf geachtet«, sage ich.
Ich stelle mich in die Tür, die zum Hof führt. Weil die Luft dort so gut ist und man den jetzt dunkelblauen Himmel sehen kann, rauche ich gleich noch eine zweite.
»Mensch, du qualmst ja eine ganze Menge«, sagt Flo, als ich mich wieder setze.
»Ja, na ja«, sage ich, weil mir nichts Schlaueres einfällt. Flo und Judith halten wohl nicht viel vom Rauchen. Woran man sich ja so langsam gewöhnt. Die Hälfte der Menschheit scheint auf einmal Gesundheitsminister a. D. zu sein, ganz reaktionäre Gesellen sind sich nicht mal zu blöd, vor harmlos quarzenden Mitbürgern empört von der »Volksgesundheit« zu schwadronieren.
In den USA werden Zigaretten mancherorts schon als so was wie eine Einstiegsdroge gehandelt. Dazu diese dämliche Kein-Alkohol-in-der-Ãffentlichkeit-Regelung. Das Schlimmste auf der Welt ist, wenn man nicht gleichzeitig trinken und rauchen kann.
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Als Nächstes kommt ein edler Eiswein auf den Tisch, der unter anderem eine Auszeichnung von der Fachzeitschrift Der Feinschmecker erhalten hat.
»Da kostet die Flasche über zwanzig Euro, aber wir wollen uns mal nicht lumpen lassen«, sagt Flo und entkorkt mit ein paar wendigen Handbewegungen die Flasche.
Laut Beschreibung des Faltblatts ist der Wein »ein Gedicht«, was man meiner Meinung nach eher von dem Faltblatt selbst behaupten kann - ein sehr schlechtes allerdings. Er soll einen »deutlich gereiften Duft nach teils kandierten Zitrusfrüchten und Pfirsichen mit pflanzlichen und mineralischen Noten sowie zarten Frosttönen« haben. Das Einzige, was mir auffällt, ist, dass er noch süÃer ist als alle, die wir davor probiert haben.
Flo erzählt, dass die Trauben eines Eisweins bei Minusgraden im Winter gepflückt werden und das Keltern sehr aufwendig ist. Nach dem ersten Schluck, den er sehr lange im Mund hin und her schiebt, faselt er irgendwas von einem »starken Abgang«.
»Der schmeckt mir nicht so gut«, sagt Judith.
Ich grinse in ihre Richtung. Unsere Augen treffen sich kurz, sie hebt einen Mundwinkel. Das muss wohl so was wie ihr Lächeln sein.
Ich werde nicht so recht schlau aus der Frau. Ich vermute eine Art von überlegener Intelligenz hinter ihrer ruhigen Art, und es macht mich zunehmend nervös, dass ich nicht weiÃ, was in ihr vorgeht.
»Und du, Judith, magst du gerne Wein?«
O Gott, was für eine blöde Frage, wie komme ich denn auf so einen ScheiÃ!
»Klar«, sagt sie.
Klar. Sonst nichts. Ich überlege gerade, wie ich sie aus der Reserve locken und ein Gespräch beginnen kann, bevor Flo eine Chance bekommt, seinen Eiswein-Monolog fortzusetzen,
da wird mit einem Ruck die schwere Kellertür aufgestoÃen.
Ein Mann in einem ausgewaschenen roten Pullunder und einer schmutzigen Cordhose betritt den Probierraum.
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»Je später der Abend, desto schöner die Gäste! Ist hier noch Platz für einen alten Winzer?«
Das muss Flos Vater sein. Ich schätze ihn auf Ende fünfzig, Anfang sechzig. Er hat lustige Augen, eng
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