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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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anliegende Elefantenohren und eine große rote Nase, wie der Säufer in einem Comic. Ich freue mich, wie immer, wenn ein Klischee bestätigt wird. Die gibt es ja schließlich auch nicht ohne Grund.
    Er setzt sich mir gegenüber an den Tisch und hält mir die Hand hin. Es ist eine große, schwielige Pranke, kräftig und stark von einem halben Jahrhundert Arbeit an der frischen Luft.
    Â»Hubert!«, sagt er im Ton eines gut gelaunten Oberkommandeurs.
    Â»Meise«, sage ich im Ton eines Menschen, der ahnt, was als Nächstes kommt.
    Â»Meise?«, sagt er. »Was ist das denn für ein Name?«
    Er tippt sich mit dem Zeigefinger mehrmals an die Stirn und pfeift dazu ein Geräusch, dass man heutzutage eher mit Beischlaf oder Ecstasykonsum assoziiert, hier aber natürlich eine mentale Störung andeuten soll. Die gute alte Meise, das »behindert« unserer Elterngeneration.
    Â»Papa!«, sagt Flo.
    Ich täusche Belustigung vor und erkläre ein weiteres Mal die Herkunft meines Spitznamens. Hubert hört mir gar nicht zu. Er hält sich prüfend die Flasche Eiswein vors Gesicht und lässt ein tiefes Brummen erklingen.

    Â»Oh, da habt ihr euch aber ein edles Tröpfchen ausgesucht!«
    Er schenkt sich ein Glas ein und hebt es in die Luft. »Ein dreimal Hoch dem Moselwein, er soll dir stets willkommen sein.«
    Offenbar ist das die Mosel-Variante des norddeutschen »Nicht lang schnacken, Kopp in Nacken« und Hubert einer jener Menschen, die immer einen lustigen Spruch parat haben.
    Diese Leute trifft man überall. Sie sagen Sätze wie »Früher Vogel fängt den Wurm« oder »Wer billig kauft, kauft zweimal«, ohne jemals überprüft zu haben, ob das überhaupt stimmt. Sie beginnen ihre Sätze gerne mit »Sagen wir mal so« und schrecken auch vor spaßigen Verulkungen wie »zum Bleistift« oder »Schankedöhn« nicht zurück. Augenzwinkernd reden sie von »Affenkoteletts« und »Schlepptops«, die nicht »funktionuckeln«, bestellen sich gerne was »beim Schinamann« und finden das Wetter »auf Deutsch gesagt« manchmal »ganz schön bescheiden«.
    Es gibt an der phrasendreschenden Front keine Grenzen nach oben und unten. Während einfachere Gemüter sich mit Lebensweisheiten à la »Wer nicht hören will, muss fühlen« oder »Dumm fickt gut« durchs Leben schlagen, erzählt die gebildetere Schicht ähnlichen Quatsch, weiß dann aber immer hinzuzufügen, dass das ein Satz von Oscar Wilde oder Hermann Hesse war.
    Â»Wer ist arm, wenn er geliebt wird?« oder »Wer zur Quelle will, muss gegen den Strom schwimmen«.
    Â 
    Mein Vater hatte ebenfalls ein großes Faible für Redewendungen. Sein Lieblingsausdruck war »tatsaftig!«, eine
Mischung aus »tatsächlich« und »wahrhaftig«, und bei Kunden verabschiedete er sich gerne mit einem salopp gemeinten »Auf Wiedertschüss!«. In Zusammenhang mit meiner Mutter sprach er später häufig von »Zahlemann und Söhne«, »Suppe versalzen« und der »Unmöglichkeit, auf zwei Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen«. Dann steckte ich mir immer die Finger in die Ohren, bis er bitter mit dem Kopf schüttelnd den Mund hielt. Manchmal murmelte er noch etwas wie »Wer anderen eine Grube gräbt …« und schaltete per Knopfdruck wieder in seinen Gut-drauf-Modus.
    Er kannte nur einen einzigen Witz: »Kochen kann ich wohl, nur essen kann das keiner.« Den brachte er bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Dann blickte er einen mit großen Augen erwartungsvoll an, obwohl man den Witz schon tausendmal gehört hatte. Wenn wir allein waren, lachte ich meistens, um ihm einen Gefallen zu tun, denn erst wenn sein Gegenüber reagierte, prustete er auch selbst los. Wenn andere dabei waren, war es mir unangenehm, wie er sich über seinen eigenen Witz scheckig lachte, dann wechselte ich schnell das Thema oder tat so, als müsste ich aufs Klo.
    Es war ein ritualisiertes Lustigsein, eine inszenierte Heiterkeit, die mit Humor nichts zu tun hatte. Aber jetzt, wo ich betrunken in diesem Keller sitze, denke ich: Eigentlich gar nicht so schlecht, der Kochen-Witz.
    Vielleicht hätte mein Vater sich gut mit Hubert verstanden. Vielleicht auch nicht. Ehrlich gesagt, kenne ich beide zu wenig, um das zu beurteilen. Zumindest weiß ich aber nun, von wem Flo seinen Hang zu Redewendungen hat. Es sieht

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