Was kostet die Welt
keineswegs so aus, als wäre ihm sein Vater peinlich. Auch Judith sitzt ganz entspannt da und lächelt, als ihr
Schwiegervater in spe uns allen die Gläser auffüllt und ihr verschwörerisch zuflüstert:
»Moselwein mäÃig genossen schadet auch in groÃen Mengen nicht.«
Sie lacht. Flo lacht. Ich lache.
»Es gibt nichts Gutes, auÃer man tut es!«, ruft Flo. »Zum Wohl!«
»Zum Wohl!«
»Zum Wohl!«
»Zum Wohl!«
Alle am Tisch sehen aus, als ob sie nichts lieber täten, als den Abend in generationenübergreifender Geselligkeit zu verbringen. Und das Komischste ist: Es gefällt auch mir ganz gut. Vielleicht ist es auch die Wirkung des Alkohols. Ich lehne mich zurück, nippe an meinem Glas und betrachte diese seltsame Runde, mit der ich in diesem seltsamen Raum zusammensitze.
Hubert schmatzt zufrieden.
»Herrliches Gesöff. Doch, haben wir schon gut hingekriegt, kann man nicht anders sagen!«
Flo und Judith sehen versonnen ihre Gläser an und bewegen den Kopf langsam auf und ab. Auch ich beeile mich, zustimmend zu nicken.
Flo nimmt seinen Vortrag nicht wieder auf. Vielleicht findet er es unpassend, einen fachmännischen Winzermonolog zu halten, solange sein alter Herr in der Nähe ist. Oder sein Akku ist jetzt auch mal leer.
Stattdessen wird über die Arbeit des Tages gesprochen.
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»Und, wie warâs heute drauÃen?«, fragt Flo seinen Vater.
»Ja, muss ja, ne«, sagt Hubert.
»Seid ihr denn vorangekommen?«
»Sicher, sicher. Erst liefâs ein bisschen schleppend. Haben auch erst um halb neun angefangen. Die Polskis kommen zurzeit mal wieder schlecht aus den Federn!«
»Papa! Das heiÃt nicht Polskis, das habe ich dir schon tausendmal gesagt.«
»Unsere polnischen Mitbürger dann eben!«
Flo wendet sich an mich. »Stanislaw und Marek. Die helfen im Moment beim Aufbinden. Im Herbst zur Weinlese kommen noch mehr Helfer. Fast alle aus Polen.«
»Manche von denen kommen schon seit Jahren zu uns«, sagt Hubert. »Stanislaw zum Beispiel ist jetzt seit zehn Jahren hier. Marek, sein Sohn, das dritte Jahr. Hier werden die immerhin vernünftig bezahlt.«
»Sieben Euro die Stunde. Da gibtâs auch ganz andere Kaliber, die zahlen drei Euro die Stunde und berechnen dann noch die Unterkunft.«
»Und was für Unterkünfte das sind. Teilweise haben die nicht mal Warmwasser.«
»Dagegen werden die bei uns richtig verwöhnt.«
»Das sind auch die zuverlässigsten Arbeiter. Pünktlich und fleiÃig. Meistens jedenfalls.«
»Wir habenâs auch mal mit Deutschen probiert«, sagt Flo zu mir. »Arbeitslose. Aber das hat nicht gefunzt, die hatten keinen Bock, kamen ständig nicht und so was.«
»Viele Arbeitslose sind so unzuverlässig, da fragt man sich: Wollen die jetzt Arbeit oder wollen sie keine?«, wirft Hubert ein. »Das ist schade, das bringt die anderen Arbeitslosen ja auch in Verruf.«
»Richtig«, sagt Flo. »Und wir zahlen denen auch die Unterkunft. Eine kleine Wohnung unten im Ort.«
»So klein ist die nicht mal!«
»So oder so, in einem guten Monat gehen die hier mit zweitausend Euro nach Hause.«
»Da mussâne alte Frau lange für stricken«, lacht Hubert.
»Vor allem eine polnische«, kichert Flo.
»Das machste wohl sagen! Aber wer vernünftig arbeitet, muss auch vernünftig bezahlt werden. Das ist meine Devise. So, und jetzt ist für mich mal Schluss hier. Das Sofa ruft! Herr Meise, nett, dich kennengelernt zu haben.«
»Ganz meinserseits«, sage ich.
»Tschüssikowski«, sagt Hubert.
»Bis dannimannski«, sagt Flo, und als sein Vater schon hinter der schweren Kellertür verschwunden ist, ruft er ihm noch »Sleep you well in a Bettgestell!« hinterher, bevor er sich wieder an mich wendet.
»Jetzt geht der nach oben aufs Sofa, schön in die Horizontale, und in spätestens einer Stunde schläft er vor der Flimmerkiste ein. Gegen zwölf weckt ihn meine Mutter, dann wankt er ins Bett, und um sieben geht der neue Tag los. Das läuft so ab, seit ich denken kann.«
Er erzählt es so, als gäbe es überhaupt nichts Deprimierendes in dieser Monotonie. Schwere Schultern scheinen in dieser Familie ein Fremdwort zu sein. Und überhaupt haben die beiden auf mich gerade gar nicht wie Vater und Sohn gewirkt. Sie haben nichts von meinem Vater und mir,
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