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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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klatsch, schrapp schrapp schrapp. Irgendein Tier, eine Motte oder so was.
    Wahnsinn, wie laut hier jedes Geräusch ist. Weil es keine anderen Geräusche gibt. Wenn ich mich konzentriere, höre ich so ein Rauschen, wie Meer oder Autobahn. So erging es mir mal auf Hiddensee, im Urlaub mit meiner Mutter und Silvia. Ich dachte nachts die ganze Zeit, ich würde Autos hören. Hatte vergessen, dass die Insel komplett autofrei ist. Was ich für Verkehr hielt, war das Meer.
    Hier gibt es weder Autobahn noch Meer. Nur so ein Grundrauschen in meinem Kopf. Oder Einbildung. Was weiß ich. Und das dämliche Mottenviech halt. Ich hab jetzt aber keine Lust, aufzustehen, also lass ich es flattern. Wird sich schon früher oder später ein ruhiges Plätzchen suchen.
    Ich suche im Dunkeln nach meinen Zigaretten. Wenn ich viel nachdenke, muss ich immer rauchen. Im Umkehrschluss hieße das, dass ich immer viel nachdenke. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Wahrscheinlich nicht.
    Im kurzen Lichtschein des Feuerzeugs taucht schemenhaft das Zimmer vor mir auf. Ich versuche, die Löwenköpfe am Sofa zu erkennen, doch es ist zu dunkel. Hier ist nicht nur das Leise leiser, sondern auch das Dunkle dunkler.
    Wo bin ich?
    Wo war ich?
    Mein Kopf, er ist immer noch ganz wirr.
    Â 
    Natürlich sind wir auch ein Stück Route 66 gefahren. Als wir feststellten, dass das nur noch ein gigantisches Outdoor-Museum für Nostalgiker ist, wechselten wir auf die parallel verlaufende Interstate. Wie zwei Irre auf der Flucht
bretterten wir durch die Steppe von Arizona und New Mexico, durch braune Wüste und rote Berge, immer zufällig gerade dann innerhalb der Geschwindigkeitsbegrenzung, wenn eine Highway Patrol im verdörrten Gras am Straßenrand auf Verkehrssünder wartete. Wir waren ohne Pause fast zehn Stunden lang gefahren, als wir Albuquerque erreichten.
    Verena sagte, ein Motel würde es auch tun, aber ich hatte dieses dringende Bedürfnis nach Luxus und Verschwendung. Ich wollte es feiern, in Albuquerque zu sein. Albuquerque ist eins meiner Lieblingswörter in englischer Sprache, der beste Städtename auf jeden Fall, noch vor New Orleans und Minneapolis und Spokane und Nashville und Philadelphia und Fargo und Truth Or Consequences.
    AL-BU-QUER-QUE!
    Mit der Betonung auf der dritten Silbe. Was zwar falsch ist, aber super klingt.
    Ich spendierte uns das Sheraton Old Town. Vom Balkon aus hatten wir einen guten Ausblick über terracottafarbene Adobehäuser und ein kleines Stück vom Rio Grande. Der Rio Grande war genauso langsam und träge wie die Stadt an sich, doch allein bei der Erwähnung dieses Flusses spürte ich Kleinjungenfantasien in mir aufsteigen. Cowboys und Indianer und so.
    Einen der Letzteren traf ich am Hotelpool, einen Navajo namens Bobby. Bobby war Wanderarbeiter. Er hatte sein letztes Geld zusammengekratzt, um seiner alten Mutter einen Tag Luxus zu ermöglichen. Seine Mutter hatte das Reservat im Norden Arizonas seit zwanzig Jahren nicht verlassen. Nun lag sie seit zwei Stunden besoffen im Bett. Es war zehn Uhr abends. Bobby fragte mich, ob ich ihm Schwimmen beibringen könne, doch er war ein hoffnungsloser
Fall. Er hatte zu viel Angst, dabei unterzugehen, und strampelte in dem niedrigen Becken herum, bis er total verkrampfte. Schließlich wurde er es leid. Er holte zwei Flaschen Bier, mit denen wir uns in diese blubbernde Hot Tub setzten. Bobby fragte mich, ob wir Deutschen wirklich so gut saufen könnten, wie die Filme im Fernsehen behaupten.
    Â»Sure«, sagte ich und prostete ihm mit meiner Bierflasche zu. Er lachte. Ich lachte auch.
    Â»You are the nicest white guy I ever met«, sagte er. »I guess I’ll never learn to swim, but thank you for the lessons.«
    Als ich zurück ins Zimmer kam, saß Verena im Hotel-Bademantel auf dem Bett und sagte: »Danke für das schöne Zimmer.«
    Â»Keine Ursache«, sagte ich.
    Wir hatten phänomenal guten Sex in dieser Nacht. Kurz vorm Einschlafen dachte ich: Dieses Mal ist alles anders. Dieses Mal werde ich mich verlieben.
    Â 
    Und plötzlich ist da der Drang, sie anzurufen. Mit ihr zu sprechen. Sie zu hören.
    Was sie wohl gerade macht?
    Ich habe mein Handy schon in der Hand, als mir unser letztes Telefonat wieder einfällt.
    Â»Bist du gut zu Hause angekommen? … Ja? … Ich bin immer noch so müde. Du auch? … Ja? … Ja. … Ja. … Ja. Na ja. … Wieso komisch?

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