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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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angenehm unaufgeregte Weise. Sie sah aus, als hätte sie sich morgens einfach in irgendwelche Klamotten geschmissen, die gerade rumlagen. Ihre Lache war herzlich und ansteckend. Und dann die Augen. Ihre Augen waren das Beste. Es ging so ein dunkles Glühen von ihnen aus, etwas durch und durch Bezauberndes. Sie wirkte selbstbewusst. Intelligent. Lebensfroh. Hedonistisch. Unkompliziert. Freundlich. Das alles in einer Person.
    Ich wollte sofort mit ihr schlafen.
    Sie hat mir später erzählt, dass es ihr ebenso ging.
    Haben wir natürlich auch am gleichen Abend noch getan. Es war folgerichtig, alles andere wäre geradezu verantwortungslos gewesen. Das amerikanische Pärchen hatte sich schon längst verabschiedet, als Verena sich auf meinen Schoß setzte und mich küsste. Sie küsste gut. Die dicken grünen Beine des Plastikstuhls gruben sich tiefer in den feinen Sand. Das Meer schwappte leise an den Strand. Ich dachte in diesem Moment an gar nichts. Fast zu schön, um wahr zu sein. Aber nicht zu wahr, um schön zu sein.

    Wir gingen zu ihr, in eins dieser schicken Hotels direkt an der Uferpromenade. Sie verballerte gerade ihren Bausparvertrag. Ich verballerte mein Erbe. Sie feierte ihr bestandenes Diplom. Ich feierte die Möglichkeit, feiern zu können. Wir wussten noch nicht, dass wir bald sehr viel Zeit miteinander verbringen würden.
    Der nächste Tag war mein letzter in Tel Aviv. Wir standen im neunundvierzigsten Stock des Azraeli Tower, unter uns lag diese immer vor sich hin wuselnde Stadt in der Abendsonne.
    Ich hab sie einfach gefragt.
    Â»Hast du Lust, mit mir durch die USA zu fahren?«
    Ich hatte das vorher nicht geplant, und als sie, ohne zu zögern, »Ja, wann?« sagte, wusste ich nicht, was mich mehr erstaunte, meine Frage oder ihre Antwort.
    Ich dachte nur: Was für eine coole Frau. Habe keine Sekunde daran gezweifelt, dass es super werden wird.
    Â 
    Am besten gefielen mir die einfachen Motels, die sich an den amerikanischen Stadträndern aufreihen. Ich liebe die herrliche Anonymität der Zimmer, die es einem so einfach macht, sich zu Hause zu fühlen. Zwei oder drei persönliche Gegenstände im Raum zu verteilen reicht da meistens schon aus. Eine Art von Zuhause, die ich mag. Ohne Geschichte, ohne Wurzeln. Wenn man weiterfahren will, fährt man weiter, ohne dass einen irgendwas festhält und ohne unnötigen Ballast im Gepäck.
    Alles war so einfach. Meistens sind wir einfach so lange gefahren, bis wir keine Lust mehr hatten oder es uns irgendwo besonders gut gefiel. Dann sind wir in die riesigen Betten gefallen, haben gegessen, getrunken, gelesen, gefickt. Oder sind nochmal rausgegangen in den nur auf uns wartenden
Abend. Ich habe es genossen, nicht zu wissen, wo genau wir am nächsten Tag stranden würden - in einer Stadt oder einem Dorf, in der Wüste oder in den Bergen, im tiefsten Wald oder am Meer, völlig egal. Hauptsache, geradeaus auf irgendeinem Highway, dessen bloße Ziffer etwas in mir auslöst.
    101 zum Beispiel. Die Live-LP von Depeche Mode, die Silvia sich von ihrem ersten Westgeld gekauft hat, nachdem sie zwei Jahre davor fast ausschließlich ihre Depeche Mode Greatest Hits -Platte gehört hatte, so eine DDR-Version auf AMIGA. Hinter den Namen der Bandmitglieder stand, welches Instrument sie spielen, und ihr Geburtsdatum, total bescheuert. Die Platten habe ich jetzt, weil Silvia mir ihre komplette Plattensammlung geschenkt hat, als sie mit Markus zusammengezogen ist. Die hören Musik jetzt nur noch über den Computer. Wenn überhaupt. Obwohl mir Silvia mit ihrem Dave-Gahan-Angehimmel ziemlich auf die Nerven gegangen ist, fand ich die 101 damals schon super. Auf dem Backcover war ein Foto einer staubigen Landstraße mit einem Schild, auf dem stand: Route 66.
    Das erste Lied hieß »Behind the Wheel«, und ich wollte alles wissen:
    Was heißt »Behind the Wheel« auf Deutsch?
    Was ist das, Route 66 ?
    Wofür steht 101 ?
    All ihre Antworten versprachen Bewegung und Weite und Größe und Abenteuer. Ich klebte an Silvias Lippen, manchmal konnte ich gar nicht glauben, was sie mir da alles erzählte, aber ich konnte ja sonst niemanden fragen, weder mein Vater noch meine Mutter sprachen Englisch. Silvia wirkte auf einmal weiser und weltgewandter als die beiden zusammen. An diesem Eindruck hat sich seitdem auch nichts mehr geändert.

    Â 
    Etwas kratzt an der Decke. Klatsch klatsch

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