Was kostet die Welt
⦠Nein. ⦠Nein, nur müde. ⦠Ach, lass uns besser ein anderes Mal telefonieren. ⦠Ja. ⦠Nein. ⦠Ja, bis bald, vielleicht. ⦠Nee, ich ruf an. ⦠Ach komm, fang nicht damit an, du weiÃt, dass ich das nicht mag. ⦠Okay, alles klar, schönen Abend noch.«
Viel mehr war da nicht, und viel mehr wird da auch nicht mehr kommen. Man kann das, was wir zusammen hatten, nicht aufwärmen. Der gröÃte Fehler: zu versuchen, etwas aufzuwärmen, das vorbei ist. Es wird nur bitter, schal, zäh. Lauwarm, wenn überhaupt. Verena ist weit weg, und ich bin weit weg. Liege im hintersten Winkel der Republik in einem quietschenden Bett, betrunken von Alkohol und Eindrücken, bedröhnt von Informationen und Erinnerungen, allein mit einem nicht ausschaltbaren Kopf. Meine Gedanken werden nicht mehr intellektuell gesteuert, sondern von einer alten Dampflokomotive gezogen, die ohne Wegbeschreibung durch die Gegend fährt, planlos vom einen zum anderen jagt, vor und zurück, sinnlose Kurven ziehend, bis ich kaum noch hinterherkomme, in diesem dunklen Zimmer am Arsch der Welt, wo der Hund begraben liegt.
Was an sich ja nicht schlimm ist, aber den Fehler hat, dass man hier dieselbe Sprache spricht wie ich. Würde man Englisch sprechen, Französisch oder Hebräisch, irgendwas, Polnisch, Schwedisch, Spanisch, Portugiesisch - dann würde ich mich vielleicht fühlen, wie ich mich die ganzen letzten Monate gefühlt habe: frei, leicht, unabhängig.
Aber ich bin in Deutschland, in der deutschen Provinz, was in seiner absurden Nähe exotischer ist, als es das am weitesten entfernte Land dieser Erde jemals sein könnte. Weil ich weit weg bin von zu Hause, mich aber trotzdem alles, was ich sehe, höre, fühle und rieche, an irgendetwas Vertrautes erinnert.
7
Es ist stockduster. Ich habe keine Ahnung, wo ich bin. Im Dunkeln suche ich nach einer Lichtquelle. Nach einigem Herumtasten finde ich mein Handy, das mir genug Licht spendet, um die Umrisse des Zimmers zu erkennen.
Ach ja, hier bin ich, in diesem Gästezimmer an der Mosel, wo sie Jalousien haben, echte Jalousien, die ich gestern Nacht heruntergelassen habe, nur, um das mal wieder zu machen. Seit fünfzehn Jahren habe ich nicht mehr in einem richtig dunklen Zimmer mit richtigen Jalousien geschlafen.
Laut Anzeige des Radioweckers ist es 10:04 Uhr. Exakt vier Stunden und zwanzig Minuten später als mein tägliches Erwachen während der letzten Woche. Kein hustender Nachbar, der mich weckt.
Das Frühstück habe ich wohl verpasst, dafür aber zum ersten Mal seit anderthalb Wochen mehr als acht Stunden am Stück geschlafen. Besonders erholt fühle ich mich allerdings nicht gerade. Eher völlig erschlagen.
Es ist diese Art aufzuwachen, bei der man froh ist, wach zu sein, und sich gleichzeitig darüber ärgert, nicht mehr zu schlafen. Ich schlage die dünne Decke zur Seite, setze mich auf die Bettkante und zünde mir eine Zigarette an. Die Decke ist klatschnass.
Ich habe wieder den bescheuerten Traum geträumt.
Das erste Mal hatte ich ihn ungefähr zehn Wochen nach der Beerdigung. Der Teil, an den ich mich erinnern kann, ist immer derselbe: Mein Vater ist am Telefon. Er erzählt mir lachend, dass er gar nicht gestorben ist. Er hat sich nur die ganze Zeit irgendwo versteckt und sich einen Spaà daraus gemacht, Silvia und mich zu beobachten.
Ich bin im Traum unfassbar wütend auf ihn und seine egoistischen SpäÃe und sage ihm, dass ich wünschte, er wäre tot. Ich bin immer noch wütend, jetzt allerdings auf mich selbst, beziehungsweise auf den Teil meines Unterbewusstseins, der mir diesen Streich spielt. Ich weiÃ, dass er tot ist. Ich habe gesehen, wie er aufhörte zu atmen, erst langsamer, dann gar nicht mehr. Er lag vor mir, ausgemergelt und steif, das Gesicht gelb, wie ranzige Butter, in der Sonne zerlaufen und dann in den Kühlschrank gestellt.
Ich hatte noch nie zuvor einen Toten gesehen, schon gar keinen, den ich kenne. Ich möchte es auch nicht unbedingt weiterempfehlen. Aber für irgendetwas muss es doch gut sein, das alles mit eigenen Augen gesehen zu haben.
Das Schlimmste ist der Geruch, den ich dabei wieder in der Nase habe, dieser widerliche Gestank, der damals das ganze Zimmer eingenommen und sich anscheinend irgendwo in meinem Hirn eingenistet hat. So stelle ich mir Phantomschmerz vor. Ein amputierter Arm, den man noch spürt.
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