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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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bei dir nicht so richtig funktioniert, Judith.
    Wir haben uns zufällig kennengelernt, zwei Tage miteinander verbracht, uns gut verstanden und viel Spaß gehabt. Guter
Humor, guter Sex, kein überflüssiges Pärchengetue. Ein paar Wochen später haben wir uns in San Francisco am Flughafen wiedergetroffen, und dann waren wir eben eine Weile zusammen unterwegs.
    Das ist alles.
    Ich kenne sie nur als meine Reisebegleiterin, und ich finde das perfekt. So was muss man erst mal hinkriegen. Wer kann schon von sich behaupten, eine Bekanntschaft zu haben, die ihm gleichzeitig so nahe und so fern ist, jeweils an den richtigen Stellen!
    Ich kenne ihre Freunde nicht. Ich weiß nicht, ob sie genervt ist, wenn sie abends von der Arbeit kommt. Ich weiß nicht, ob sie ständig den Hausschlüssel verliert, ob bei ihr die Fruchtfliegen durch die Küche kreisen, oder ob sie einen Putzfimmel hat. Ich musste ihre Eltern nicht kennenlernen, mich nie mit ihr vor dem Fernseher langweilen, und ich weiß nicht, ob sie ganz anders redet, wenn sie alte Schulfreunde trifft. Ich habe keine Ahnung, wie es in ihrer Wohnung aussieht, ich kenne ja nicht mal ihre Stadt, ich war noch nie in Hannover.
    Ich kenne nur ihre guten Seiten. Sie war die beste Reisebegleitung, die ich mir vorstellen kann. Lustig, entspannt und unkompliziert.
    Ich schätze diese Frau wirklich, aber muss ich sie deswegen etwa gleich heiraten?
    Meine Eltern sind das beste Gegenbeispiel. Sie haben viel zu früh geheiratet und sind viel zu lange zusammengeblieben. Sie hätten sich früher trennen sollen. Haben sich so lange miteinander rumgequält, still und leise ihre besten Jahre verschenkt, bis es nicht mehr auszuhalten war. Als sie sich endlich getrennt haben, hatten sie schon längst jeglichen Respekt voreinander verloren. Fingen an, sich gegenseitig das Leben zur Hölle zu machen.

    Und das nur, weil sie den Absprung nicht geschafft, sondern auf Teufel komm raus versucht haben, zusammenzubleiben. Wegen uns Kindern oder den Nachbarn oder irgendwelcher Werte - Ehe, Treue, »Bis dass der Tod euch scheidet« und der ganze Mist, alte Regeln und Verklemmtheiten, die auf einer bekloppten Religion von vor ein paar Tausend Jahren basieren, in Stein gemeißelte Scheiße.
    Was soll daran gut sein? Die eigenen Bedürfnisse unterdrücken, und dann führt es doch nur zu Verbitterung und Hass. So will ich jedenfalls nicht leben.
    Vielleicht solltet auch ihr vorsichtig sein. Ich mein, schön und gut hier alles. Weingut, Natur, Familientradition, Schatz und Spatz und so weiter, wenn ihr das gut findet, meinetwegen.
    Aber ihr seid doch noch so jung. Wollt ihr wirklich schon leben wie eure Eltern?
    Â 
    Â»Ich werd dann mal langsam abräumen.«
    Â»Warte, Schatz. Ich helf dir.«
    Er hilft ihr. Ich gieße mir nochmal nach. Die Flasche ist leer.
    Â»Ich würde sagen, wir machen den Laden dann mal zu, was? Du bist doch auch bestimmt ganz schön groggy, so eine lange Fahrt, die schlaucht ja auch.«
    Ich denke: groggy? schlauchen? - mein Gott, du redest ja sogar wie deine Eltern! Aber ich sage nur: »Ja, stimmt.«
    Â»Morgen ist ja auch noch ein Tag. Da machen wir nachmittags mal’ne kleine Spritztour, damit du was von der Gegend siehst.«
    Er macht eine Pause.
    Â»Natürlich nur, wenn du Lust hast.«
    Â»Ã„h, ja klar, also, gerne«, stottere ich. Vielleicht gehöre ich wirklich ins Bett. Außerdem brauche ich dringend eine Zigarette.

6
    Das Bett quietscht ein wenig, als ich mich reinlege. Gute Matratze, nicht zu hart und nicht zu weich. Ich drücke das Kissen zu einem dicken Knäuel zusammen und schiebe es mir unter den Kopf. Mit dem Geruch des frisch gewaschenen Bezugs tauchen jede Menge Bilder von den verschiedenen Betten vor mir auf, in denen ich in den letzten Monaten geschlafen habe. All die Hotels und Motels, die guten, die schlechten, die Pensionen, die Hostels, die Absteigen. Die Kabine auf der Fähre nach Schweden. Das hässliche Allinclusive-Hotel in Tunis. Der Bunker in Oslo, dessen Inneres aussah, als wäre dort in den Sechzigern ein Agententhriller nach dem anderen gedreht worden. Und dann die Privatunterkünfte: das WG-Zimmer der Pillenmaus in Barcelona, das Gästezimmer von Verenas ehemaliger Austauschschülerin in Austin, Brians fensterloser Verschlag in New York.
    Das Seltsamste war wahrscheinlich die Field School am Toten Meer, in der ich zufällig gelandet bin. Es

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