Was kostet die Welt
mächtiger, weiter entfernt. Ein Halbmond beleuchtet den Parkplatz. Er ist die einzige Lichtquelle, abgesehen von dem eitergelben Schein, der matt durch die milchigen Scheiben der Linde auf die StraÃe fällt.
»Ich kenne gutes Puff. Willst du mit?«
»Okay.«
Ich war noch nie in einem Puff, schon gar nicht auf dem Land. Es zieht mich auch nicht unbedingt dorthin. Ich steige trotzdem zu Marek in den Wagen. Wir haben uns soeben heldenhaft dem Dorfmob entgegengestellt, und ich will unsere frische Allianz nicht direkt wieder auseinanderbröckeln lassen, sondern mich noch ein bisschen an diesem warmen Loyalitätsgefühl laben.
Es ist ein Mercedes. Zweihunderter Diesel. Das weià ich, weil mein Vater sich sofort nach der Wende das gleiche Modell gekauft hat. Oder dasselbe, was weià ich. Holger hatte auch mal so einen. Der sogenannte »Bauernbenz«, damit haben wir ihn damals immer aufgezogen. Zuletzt habe ich das Modell auf den StraÃen Tangers gesehen, da war so gut wie jedes Taxi ein Zweihunderter Diesel. Scheint im groÃen Stil nach Marokko verschifft zu werden, der Bauernbenz. Wenn er vorher nicht gerade von polnischen Erntehelfern abgefangen wird. Marek hat den Wagen vor ein paar Wochen
gebraucht in Wittlich gekauft, wie er mir stolz erzählt.
»Bisschen Rost, zu Hause reparieren, ist billiger, sonst gutes Auto, deutsche TÃV, sehr gut«, sagt Marek. Er sieht eigentlich noch ganz frisch aus, obwohl er ja schon eine Menge getankt hat. Mindestens vier Bier und vier Wodka, und wer weiÃ, was er vorher schon getrunken hat.
»Fahren alle hier besoffen Auto«, sagt er, als könne er meine Gedanken lesen, und fährt mit quietschenden Reifen vom Parkplatz.
Zwei Minuten später sind wir auf der LandstraÃe Richtung Osten. Der Mercedes saust durch die dunkle Nacht, es gibt kaum Lichter. Wir fliegen in die Kurven, als hätte er diese Strecke schon tausendmal bei »Mario Kart« geübt. Die plötzliche Geschwindigkeit fühlt sich so gut an, dass es mir völlig egal ist, was er alles intus hat oder wohin wir fahren.
Hauptsache weg hier. Hauptsache Bewegung.
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Das Geschehen in der Kneipe wird nicht weiter thematisiert. Marek wirkt, als würde es ihn überhaupt nicht interessieren. Vielleicht ist es ihm unangenehm, also fange ich gar nicht erst damit an. Ich weià auÃerdem immer noch nicht, wer da jetzt eigentlich gewonnen hat.
Ich, weil ich den Alphawolf beleidigt und herausgefordert habe, er aber gekniffen hat, oder der Alphawolf, weil er sich nicht hat provozieren lassen, sondern nach einer halben Ewigkeit des Schweigens nur den Mund spitzte und ganz ruhig in die Runde fragte, wer jetzt eigentlich dran sei mit Mischen.
Ich entscheide mich für Ersteres, aber ganz sicher bin ich mir nicht.
Marek peitscht das alte Schiff im hohen Drehzahlbereich den Berg hinauf. Es drückt mich in den Sessel, der viel angenehmer, weicher und groÃzügiger ist als die Sitze in all den Mietwagen, die ich in den letzten Monaten gefahren habe. Meine Beine sind komplett ausgestreckt, ich liege fast, und zum ersten Mal bekomme ich eine leichte Ahnung davon, warum mein Vater so ein Mercedesfreak war.
»Ist das hier die Eifel?«
Marek nickt. Dann fragt er mich, woher ich komme.
Ich behaupte, Student aus Köln zu sein und hier Wochenendurlaub zu machen. Mir fällt auf die Schnelle nichts Besseres ein. Er fragt mich, was ich studiere, und ich sage: Journalismus. So lebt die Wunschvorstellung meiner Eltern wenigstens in einer kleinen Lüge weiter.
»Hm«, sagt Marek. Ich weià nicht genau, was das bedeuten soll. Womöglich hält er mich für einen Schnösel, einen intellektuellen Städter ohne Schwielen an den Händen, verweichlicht und bourgeois, aber das ist immer noch besser, als ihm die Wahrheit zu sagen: dass ich keinen Beruf habe, nie einen hatte und auch niemals einen haben möchte, dass ich in einer Bar jobbe, meistens bis mittags schlafe und nachts nach der Schicht mit wechselnden Frauen nach Hause gehe, und zwar ohne sie dafür zu bezahlen.
Besser schnell das Thema wechseln.
»Kann ich hier rauchen?«
»Hm«, sagt Marek nochmal und drückt auf den Zigarettenanzünder. Er redet von sich aus nicht viel, scheint von meinem Interesse an seiner Person aber geschmeichelt zu sein, zumindest beantwortet er in zwar gebrochenem, aber verständlichem Deutsch all meine Fragen, so dass ich Stück für
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