Was kostet die Welt
Stück einen Abriss seiner Lebensgeschichte erhalte.
Marek ist achtundzwanzig, also eine Ecke jünger, als er aussieht, und kommt aus Gdansk, das er Danzig nennt, weil er wohl denkt, ich würde den echten Namen nicht kennen. Sein Vater war Werftarbeiter. Hat an dem berühmten SolidarnosÌcÌ-Streik auf der Leninwerft 1980 teilgenommen. Er kannte sogar Lech WaÅęsa, den Marek als »Hurensohn« bezeichnet. Anfang der Neunziger, kurz nach Glasnost und Perestroika, wurde die Werft in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Stanislaw war einer der Ersten, die ihren Job verloren. Er zog mit seiner Frau, dem zwölfjährigen Marek und der neunjährigen Karolina zurück in das westpommersche Dorf, in dem er geboren wurde. Dort hielt Stanislaw sich und seine kleine Familie mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Reparaturen, Hausmeistertätigkeiten, Aushilfe für alles, was anlag. Manchmal lag monatelang nichts an. Aus dem einst stolzen Arbeiter wurde ein verbitterter alter Mann.
»Kaputt, hier«, sagt Marek und fasst sich ans Herz.
Stanislaw war und blieb überzeugter Antikommunist, aber das vermischte sich nun mit der Enttäuschung über die Marktwirtschaft, die Privatisierung, den Westen an sich. Er begann zu trinken. Saà nächtelang hinter dem Haus und sang traurige Lieder. Ein melancholischer Säufer, der die Vergangenheit verdammte und ihr gleichzeitig hinterhertrauerte.
Mareks Mutter führte den Haushalt. Manchmal ging sie putzen. Wenn sie nicht bei sich oder anderen saubermachte, betete sie.
Ich bin kurz davor, ihn zu fragen, ob er mit dem Begriff »schwere Schultern« etwas anfangen kann, lasse es aber lieber bleiben. So gut kennen wir uns nun doch nicht, und ich will nicht, dass er mich für ein Weichei hält, wo ich doch gerade
in der Kneipe noch so eindrucksvoll Stärke bewiesen habe.
Ende der Neunziger war Stanislaw zum ersten Mal als Erntehelfer an der Mosel. Ein Nachbar mit deutscher Verwandtschaft hatte ihm das vermittelt. Schlagartig ging es mit ihm wieder bergauf. Er hörte sogar auf zu saufen. Die Arbeit auf einem Weingut hat ihn also von seinem Alkoholproblem befreit.
Marek sagt, dass ein Mann Arbeit braucht. Dass ein Mann ohne Arbeit kein richtiger Mann ist. Dass sein Vater arbeiten kann wie zwei. Dass er seit zehn Jahren jeden Sommer hierherkommt und es noch nie eine Klage über ihn gab.
Marek selbst ist jetzt den dritten Sommer hier. Ein Weinernte-Lakai in zweiter Generation. »Ist gut Geld«, sagt er. »Aber Polen besser. Essen besser, Trinken besser, Frauen besser!«
Er grinst. Ich grinse auch. Und wundere mich über dieses weitere Vater-Sohn-Gespann. Nach Flo und Hubert haben wir hier schon wieder so ein eingespieltes Team, ein blutsverwandtes Duo, kumpelnde Komplizen mit gemeinsamem Auftrag.
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Das Grinsen verschwindet aus Mareks Gesicht, als ich ihn frage, was er denn gelernt hat. Nachdem er ein wenig herumgedruckst hat, beginnt er zu erzählen. Dass er nach der Schule zurück nach Danzig gegangen ist, wie sein Vater zwanzig Jahre vor ihm. Er wollte Drucker werden, aber dann ist etwas Schlimmes passiert.
»War Unfall, kurwa!«, sagt er und beiÃt sich auf die Unterlippe.
Eines Nachts kam ihm auf dem Heimweg mit lautem Getöse ein Motorrad entgegen, viel zu schnell in der kleinen
StraÃe. Der Motorradfahrer wohnte in der Nachbarschaft und raubte Marek schon seit langer Zeit den Nerv. Als er ihn kommen sah, schnippte Marek verärgert seine glühende Kippe in Richtung des Motorradfahrers. Der erschrak, geriet ins Schleudern und verlor die Kontrolle über die Maschine. Ungebremst krachte er gegen einen Stromkasten. Marek geriet in Panik. Statt dem Mottoradfahrer zu helfen, rannte er los und versteckte sich in seiner dunklen Küche. Doch jemand hatte ihn gesehen. Der Mann blieb querschnittsgelähmt. Marek bekam drei Jahre Jugendarrest.
Vor vier Jahren ist er rausgekommen. Gleich den nächsten Sommer hat sein Vater ihn mit hierhergenommen.
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Mit einer Hand wühlt er hinter dem Beifahrersitz herum und gerät dabei auf der engen LandstraÃe leicht ins Schlingern. Er schaltet einen Gang herunter, drückt das Gaspedal durch und holt schlieÃlich zwei groÃe grüne Halbliterdosen Bier hervor.
Bier!
In Dosen!
Eine wirft er mir in den SchoÃ, die andere knackt er mit einer Hand. Es ist polnisches Bier. Lech. Marek sagt, dass er davon immer welches aus der Heimat mitbringt.
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