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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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aus Springfield. Ein Nerd wie aus dem Bilderbuch, eine fleischgewordene Karikatur, inklusive Kassengestell, einer Bartfrisur, die man umgangssprachlich auch als Gesichtsfotze bezeichnet, und der überflüssigen Pfunde, die die Verköstigung im Hotel Mama nun mal so mit sich bringt.

    Der Enddreißiger am Kopfende des Tisches ist neu hinzugekommen. Er hat ein irgendwie weiches und konturloses Gesicht. Erst nach wiederholter Betrachtung fällt mir auf, woran das liegt: Es gibt in diesem Gesicht keine Haare, nicht mal Augenbrauen. Die Geheimratsecken gehen fast bis zum Hinterkopf, und das Kinn ist kurz davor, sich zu verdoppeln. Auf seinem sonnenverbrannten Oberarm prangt ein ausgeblichenes Tribaltattoo, dessen Vorlage offensichtlich der erste Linolschnittversuch eines minderbemittelten Drittklässlers mit zwei gebrochenen Armen war.
    Das schwammige Äußere steht allerdings in scharfem Gegensatz zu der dröhnenden Stimme, mit der der Alphawolf dieser trüben Truppe eine Lebensweisheit nach der anderen durch den Raum brüllt.
    Â»Psychopathen bauen Luftschlösser, und Psychiater kassieren die Miete!«
    Â»Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr!«
    Â»Wo gehobelt wird, fallen Späne!«
    Noch so ein Sprücheklopfer. Doch bei ihm klingt das Phrasengedresche anders als bei Hubert und Flo. Die pflegen zwar eine Art von Humor, den ich höchstens unter Aspekten der Realsatire als lustig bezeichnen würde, verströmen dabei aber Ausgeglichenheit und Lebensfreude, wohingegen von dem Alphawolf eine latente Feindseligkeit ausgeht.
    Während Bubigesicht die Karten mischt, haut er ihm mit voller Wucht auf die Schulter und ruft: »Brich dir mal nicht die Finger, Jungchen!«
    Dann dreht er sich zu Comicverkäufer und Handwerkertyp um und zeigt mit dem Daumen auf Bubigesicht. »Der spielt, wie er aussieht, wie ein Mädchen!«
    Die anderen lachen. Sogar Bubigesicht kichert schüchtern.

    Â»Schwach anfangen und dann stark nachlassen, darin biste Meister, Jungchen!«
    Vielleicht ist das so was wie ein Stammtisch. Ich habe mich noch nie gefragt, wie so ein Stammtisch wirklich aussieht. Ich hielt den Begriff bisher für eine Art Metapher, eine Überspitzung. Hier werde ich eines Besseren belehrt: So etwas gibt’s wirklich. Und wie so oft steht die Realität dem Vorurteil in nichts nach.
    Â 
    Ich bestelle ein weiteres Bier und versuche, das Gedudel des Spielautomaten und die Sprüche vom Nebentisch auszublenden, um mich wieder auf die Zeitung zu konzentrieren, doch die Einwürfe des Alphawolfs werden immer lauter und aggressiver.
    Â»Kaum gestohlen, schon in Polen«, brüllt er. Und: »Der Iwan, der frisst das Brot aus der Dose!«
    Ich weiß weder, was das bedeuten soll, noch, wie er da jetzt plötzlich drauf kommt. Das Kartenspiel geht ganz normal weiter. Dabei lässt er weitere Salven vom Stapel. Mal gegen Polen, mal gegen Russen. Dann gegen beide zugleich.
    Â»Warum klauen die Russen in Deutschland immer alles doppelt?«, fragt er mit weit aufgerissenen Augen augenbrauenlos in die Runde, um sich sogleich selbst die Antwort zu geben: »Sie müssen auf dem Rückweg noch durch Polen!«
    Heiser lacht er über den eigenen Witz. Die anderen blicken in ihre Karten, grinsen gequält, sagen nichts. Doch das spornt den Alphawolf eher noch an.
    Â»Was passiert, wenn man einen Russen und einen Polen kreuzt? Das Kind ist zu faul zum Klauen!«
    Seine Lache klingt wie das gurgelnde Rasseln eines alten Wartburg-Motors, tief und böse und irgendwie kaputt. Er
donnert seine Faust auf den Tisch und wird im nächsten Augenblick ganz ernst.
    Â»Dreckspack, ein elendes Dreckspack ist das. Nirgendwo bist du vor denen sicher!«
    Er macht eine Kopfbewegung in Richtung Theke, wo der Jeansträger sitzt. Erst da fällt mir auf, dass der ziemlich osteuropäisch aussieht. Dagmar stellt ihm gerade ein Bier und einen Schnaps hin.
    Â»Wenn bei mir zu Hause jemals einer von den Brüdern übern Zaun kommt, dann rauscht es! Ich hab eine deutsche Eiche im Garten. Die ist mit Sicherheit vierhundert Jahre alt. Sieht bestimmt gut aus, wenn da ein Polacke dran baumelt.«
    Comicverkäufer, schüchtern: »Aufknüpfen musst du sie ja vielleicht nicht gerade.«
    Alphawolf: »So, mein Freund, ich sag dir jetzt mal was: Ich verteidige mein Eigentum. Wenn der Staat mich und meine Familie nicht schützt, dann schütz ich mich

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