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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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die ich zu Hause so liebe, wo man sich einfach irgendwo hinsetzt und weiß, dass früher oder später schon irgendwas passieren wird, auch wenn man gar nichts erleben will, und von der ich jetzt weiß, dass sie gar keine Langeweile ist, sondern etwas ganz anderes, vielleicht Entspannung oder Freizeit oder so was.
    Das hier ist die richtige Langeweile, und sie ist nicht angenehm oder entspannend, sondern hässlich, stumpf und brutal.
    Wie ist das wohl im Winter, wenn man nicht mal mehr draußen sitzen kann, dann kann man hier ja gar nichts mehr machen, außer sich in der Bude zu verkriechen. Wird bestimmt sehr dunkel und einsam hier, wenn die Dampfertouristen ausbleiben. Bei der Vorstellung habe ich direkt Bilder aus Shining vor Augen. Der wahnsinnige Jack Nicholson
und das irre Kind auf dem Dreirad, so muss das hier sein, wenn das Wetter die Menschen hinter den fein herausgeputzten Fassaden einschließt.
    REDRUM! REDRUM!
    Je länger ich hier rumsitze, desto schlechter wird meine Laune. Doch dann kommt mir die rettende Idee. Mann, wieso bin ich da nicht eher drauf gekommen - ich gehe zum Friseur!
    Das ist in den letzten Monaten zu einer meiner Lieblingsbeschäftigungen in fremden Städten geworden. Rein haarlängenmäßig hatte ich es meist gar nicht nötig, doch sich unterwegs von Fremden ein wenig den Kopf streicheln zu lassen ist die beste Dienstleistung, die es gibt. Ein guter kleiner Luxus, ein sauberer Deal, eine klare Sache ohne versteckte Haken oder andere Zwielichtigkeiten.
    Am besten war es in Krakau. Der Laden war eher so eine Art Schönheitssalon für gutsituierte Damen. Es war ein Samstagvormittag, und es war bumsvoll. Als einziger männlicher Kunde wurde ich von den Friseusen zunächst skeptisch beäugt, bedient haben sie mich aber trotzdem. Mit geschlossenen Augen lag ich da, ließ mir in den Haaren rumfummeln und lauschte dem sanften Stimmengewirr der polnischen Frauen. Der Himmel auf Erden.
    In Atlanta musste Verena nach meinem Friseurbesuch mit der Papierschere im Motelzimmer einiges reparieren. Trotzdem hatte es sich gelohnt. Es geht beim Friseurbesuch nicht um die Frisur, die dabei herauskommt, sondern um den Akt des Haareschneidens an sich.
    Â 
    Der Friseursalon Kaiserschnitt liegt unten am Wasser, schräg gegenüber der Viking Sky. Die junge Friseuse hat eine Betty-Page-Frisur und trägt einen Petticoat. Ihr betont gelangweilter
Blick verleiht ihr etwas leicht Überhebliches. Mir gefällt das. Ich mag arrogante Frauen. Jedenfalls fast so sehr wie unarrogante. Sie hat Piercings in der Nase und im Mund, ein Kruzifix als Ohrring, rot lackierte Fingernägel und spitze Brüste, die sie an meine Schulter drückt, als sie mir mit lauwarmem Wasser die Haare wäscht.
    Meinem Kopf geht es schon viel besser. Ich weiß nicht, ob die Schmerztablette wirkt oder ob die kraulenden Bewegungen mich entspannen. Aber wenn ich die Wahl hätte zwischen einmal frei französisch von Wohnmobilnutte Tanja oder einmal Haarewaschen bei dieser jungen Dame, ich würde mich immer für Letzteres entscheiden.
    Sie fragt mich, wie ich heiße.
    Â»Carlo«, sage ich. »Und du?«
    Â»Silvie«, sagt sie.
    Â»Oh, schön, fast wie meine Schwester«, sage ich, und auf Silvies Gesicht legt sich die Andeutung eines Lächelns. Nur ganz kurz, dann fängt sie sich und setzt wieder ihren Faye-Dunaway-mäßigen Schlafzimmerblick auf, den sie bestimmt lange zu Hause vorm Spiegel geübt hat. »Ist das dein Laden hier?«
    Â»Pff«, macht Silvie, »schön wär’s. Mein Chef ist heute in der anderen Filiale drüben in Kues.«
    Â»Wie lange bist du denn schon Friseuse?«
    Â»Fünf Jahre. Aber das heißt nicht Friseuse , das heißt Friseurin .«
    Â»Ach so.’tschuldigung, wusste ich nicht.«
    Â»Schon gut. Du bist nicht der Einzige, der das nicht weiß. Wird wohl noch’ne Weile dauern, bis sich das rumgesprochen hat«, sagt Silvie in emotionslosem, aber dadurch umso bitterer klingendem Tonfall. »So, Carlo. Dann einmal hier rüber, bitte.«

    Sie führt mich zum Frisierstuhl, rubbelt mir die Haare trocken und beginnt, darin herumzuwuscheln und zu zupfen und zu schnibbeln. Das Schnippen und Schnappen der Scherenblätter an meinen Ohren jagt mir einen wohligen Schauer nach dem anderen über den Rücken. Wie die meisten Friseusen oder Friseurinnen, oder wie das jetzt heißt, ist Silvie eine

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