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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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Schlauberger wie Flo handelt.
    Ich beuge mich übers Balkongeländer, kann die Vögel aber nirgendwo entdecken.
    Â»Was suchst du denn?«
    Ich zucke zusammen wie ein Schuljunge, der wichsend vorm Schlüsselloch der Mädchenumkleide erwischt wurde. Judith steht im Hof. Mit der rechten Hand schirmt sie ihre Augen vor der Sonne ab, die schon ziemlich tief am Himmel steht.
    Â»Ach, nichts. Ich guck nur, wo die Vögel sitzen.«
    Judith zeigt auf das Dach des Nachbarhauses. Ich verfolge die Linie ihres Fingers, sage »Ah, ja!«, obwohl ich die Viecher immer noch nicht entdecken kann, und drehe mich wieder zu ihr um. »Und du so?«

    Â»Ich war spazieren. Ist noch so schön draußen.«
    Sie trägt Flipflops, einen kurzen schwarzen Rock und ein tailliertes grünes Oberteil. Es sind die ersten halbwegs figurbetonenden Kleidungsstücke, die ich an ihr sehe. Ihre dunklen Haare hat sie zu einem kurzen Zopf zusammengebunden. Auf der Nase sitzt eine runde Sonnenbrille. Von hier oben sieht sie gar nicht mal schlecht aus.
    Â»Da hast du Recht«, sage ich. »Und, hast du noch was vor?«
    Â»Nee, was soll ich vorhaben«, sagt sie.
    Â»Ja, weiß ich ja nicht.«
    Â»Nee, nichts geplant. Der Flo ist mit seiner Mutter weg.«
    Â»Ich weiß, hab ihn heute beim Frühstück noch gesehen.«
    Â»Ach so.«
    Ich überlege, was ich als Nächstes sagen könnte. Dann gebe ich mir einen Ruck.
    Â»Also, ich weiß zwar nicht, ob ich dich damit locken kann, aber ich hab noch’ne Flasche Wein im Kühlschrank. Wenn du Lust hast, komm hoch und leiste mir Gesellschaft.«
    Â»O toll, Wein! Hurra!«, lacht Judith.
    Ich lache auch.
    Â»Und außerdem gibt es von hier oben gleich einen top Sonnenuntergang zu sehen.«
    Das ist so ziemlich der lahmste Spruch, den ich jemals einer Frau gegenüber geäußert habe. Mein Hirn ist so ausgedörrt, dass mir einfach nichts Besseres einfällt.
    Sie überlegt, sieht sich kurz um, als wären ihr irgendwelche Verfolger auf den Fersen, und sagt dann: »Okay. Ich geh nur kurz ins Haus und hol mir einen Pullover.«
    In den fünf Minuten, die sie dafür braucht, räume ich die ganze Wohnung auf. Als Erstes öffne ich das Fenster neben dem Bett, um für Durchzug zu sorgen und den Zigarettenqualm zu vertreiben. Dann raffe ich meine im ganzen Zimmer
herumliegenden Klamotten zusammen und stopfe sie in die Reisetasche. Ich leere den Aschenbecher, spüle die dreckigen Gläser und schüttle das Bett auf. Ich wasche mir mit kaltem Wasser das Gesicht, lege grob meine neue Frisur zurecht und entferne mir mit der Nagelschere ein hervorstehendes Nasenhaar. Schließlich ziehe ich mir sogar noch ein frisches Hemd an. Es ist weiß, wie das andere, so dass sie hoffentlich nicht bemerkt, dass ich mich extra umgezogen habe.
    Â 
    Aufmerksam schaut Judith sich im Zimmer um.
    Â»Ich wohne jetzt seit einem Jahr hier bei Flo und seinen Eltern, aber in dieser Ferienwohnung war ich noch nie«, sagt sie und setzt sich auf den freien Plastikstuhl auf dem Balkon. Sie legt ihre Sonnenbrille auf den Tisch. Ich setze mich ihr gegenüber, öffne die Weinflasche und schenke uns ein. Mir steht der Sinn zwar immer noch nicht nach Wein, aber ohne Alkohol, das geht jetzt nicht. Das wäre wie Tanzen ohne Musik. Autofahren ohne Reifen. Fallschirmspringen ohne Fallschirm.
    Â»Prost«, sage ich und sehe sie an.
    Â»Zum Wohl«, sagt sie und erwidert meinen Blick, wobei mir auffällt, dass sie auf einmal grüne Augen hat.
    Â»Du hast ja grüne Augen.«
    Â»Ich weiß.«
    Â»Waren die nicht gestern noch braun?«
    Â»Woher weißt du das?«
    Â»Weil ich es gesehen habe, woher sonst.«
    Â»Ich habe nicht bemerkt, dass du mir in die Augen geschaut hast.«
    Â»Die ganze Zeit.«
    Â»Spinner. In meinem Ausweis steht grün-braun. Meistens sind sie das auch, manchmal aber auch nur eins von beiden.«

    Â»Ach, echt?«
    Â»Ja.«
    Â»Interessant.«
    Â»Na ja.«
    Eine Pause entsteht, während der sich Judith eine Falte aus ihrem Rock streicht und in mir Angst aufsteigt. Angst vor der Stille, dieser peinlichen Stille, die alles unter sich begräbt, bis jede Bewegung und jedes Geräusch zum Krampf wird und man anfängt, sich zu räuspern und Alte-Leute-Sachen zu sagen wie »Jaja, so ist das alles« oder »Tja, und sonst so?«, und schließlich aufs Klo geht, ohne zu

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