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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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professionelle Smalltalkerin. Vermutlich lernen sie das in der Berufsschule. Fünfte und sechste Stunde: »Unverfängliches Geblubber«. Anders als sonst stört mich das aber nicht im Geringsten. Beim Friseur muss das so.
    Silvie gibt sich abgeklärt. Mit ausdrucksloser Miene stöhnt sie, wie voll es gerade in der Stadt ist.
    Â»Je voller die Stadt, desto weniger Umsatz. Die alten Leute, die gucken ja alle nur, kaufen aber nichts. Und wenn, dann wollen sie feilschen.«
    Â»Auch beim Friseur?«, sage ich.
    Â»Auch beim Friseur. In den Cafés ist es nicht besser, da vergleichen sie die Kaffeepreise und gehen dahin, wo es zehn Cent billiger ist. Ich hab früher viel gekellnert. Die Holländer und Belgier waren die Schlimmsten. Kaum Trinkgeld, da wurde höchstens mal auf den nächsten vollen Betrag aufgerundet.«
    Â»Das ist ja kacke«, sage ich.
    Â»Kannste laut sagen«, sagt Silvie.
    Sie nimmt einen Schluck Wasser, räuspert sich, macht sich wieder an die Arbeit. Weiterschnibbeln, weiterreden. Es geht jetzt um ihr Ausgehverhalten. Beziehungsweise darum, dass sie kaum noch ausgeht.
    Â»Auf Dauer ist das einfach zu aufwendig und zu teuer, die Zugfahrten nach Trier oder Koblenz oder Köln, der Eintritt, die Getränke. Und dann ist da ja auch immer die Frage, wie man zurückkommt und wann. Der reinste Organisationsstress.
Da lädste besser ein paar Leute ein und säufst zu Hause.«
    Es soll lässig klingen, doch ihre Einsamkeit umhüllt sie wie ein Schleier.
    Â 
    In Albufeira habe ich eines Samstagabends vom Balkon aus zwei aufgetakelte Mädchen beobachtet. Sie liefen immer wieder die Gassen des leergefegten Urlauberörtchens auf und ab. Wussten nicht, wohin mit sich. Wussten nicht, wofür sie sich so hübsch gemacht hatten. Schoben sich gegenseitig die Brüste ins Dekolleté und scherzten tapfer herum, kicherten ein wenig, wirkten dabei aber alles andere als glücklich. Früher oder später würden sie sich für einen der noch verfügbaren Typen aus dem Ort entscheiden müssen. Oder abhauen, so weit weg wie möglich, mindestens aber in die nächste Großstadt. Vielleicht hatten sie den Absprung schon längst verpasst. Es war wirklich traurig, den beiden zuzusehen.
    Mit Silvie ist es ähnlich. Vielleicht kommt sie hier niemals raus. Festgenagelt auf den Brettern der Provinz. Verdammt dazu, ein Leben lang bräsigen alten Damen Lockenwickler in die Haare zu schrauben und sich am Wochenende mit dem durch Landflucht und Familiengründungen immer kleiner werdenden Freundeskreis im Wohnzimmer zu besaufen.
    Ich bin kurz davor, sie zu fragen, was sie heute Abend vorhat. Obwohl sie gar nicht mein Typ ist, mit dem Blech im Gesicht und diesem komischen Fifties-Style, oder Sixties oder was das ist. Andererseits habe ich gar keinen festgelegten Frauentyp, und wenn man sich die Klamotten und die Piercings wegdenkt, ist sie eigentlich gar nicht so übel.
    Oder ist das jetzt schon ein Teil des Phänomens, das ich in der ganzen Gegend hier vermute? - Das Phänomen, dass
man aufgrund der geringen Auswahl seine Ansprüche an Stil, Humor und Aussehen des potenziellen Sexualpartners auf ein Mindestmaß herunterschraubt und stattdessen dankbar nimmt, was man kriegen kann. Dass man sich Menschen schönredet, schöndenkt, schöntrinkt, um bloß nicht alleine zu sein. Vereint durch Langeweile, aneinandergekettet aus Mangel an Alternativen.
    Ich kann sie doch jetzt nicht aus Mitleid anbaggern. Oder etwa doch?
    Â 
    Â»So, zufrieden?«
    Silvie bewegt einen runden Spiegel hinter meinem Kopf hin und her.
    Â»Ja, danke«, sage ich, ein bisschen enttäuscht, dass es schon vorbei ist.
    Sie rasiert mir den Nacken aus. Der Höhepunkt eines jeden Friseurbesuchs. Das leise Brummen des Elektrorasierers beschert mir eine veritable Gänsehaut, genau wie der sanfte Wind des Föns, den sie danach benutzt.
    Ich lasse mir sogar noch Wachs in die Haare massieren, nur um die Behandlung ein wenig zu verlängern. Dann wischt sie mir schwungvoll den Kittel vom Oberkörper und geht zur Kasse.
    Das Waschen und Schneiden kostet 13,50. Ich gebe zwanzig. Weil ich weiß, wie wichtig Trinkgeld ist, und weil ich gerne Trinkgeld gebe, und weil ich besser sein will als die knauserigen Touristen. Der angenehme Nebeneffekt meiner Großzügigkeit ist, dass ich so keinen ekligen Fünfeuroschein zurückbekomme.
    Silvie kann sich jetzt nicht

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