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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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weitergebracht, sondern nur einen Klumpen aus aufgestauter Wut in seine Brust gepflanzt hat, ein Hass, der sich von sich selbst ernährte und sich über die Jahre wie Gift in jeder Zelle seines Körpers breitmachte, bis er versteinerte und sich nicht mehr bewegen konnte, nein nein nein nein nein, so tief darf ich nicht sinken, so will ich nicht sein, tut mir leid, war nicht so gemeint, Junge, tut mir leid tut mir leid tut mir leid.
    Â 
    Sofia Coppola ist bereits dabei, den Laden zu fegen. Trotzdem winkt sie mich noch lächelnd hinein. Ich gehe schnurstracks zum Getränkeregal. Greife mir eine Flasche Gin und eine Flasche Tonic. Nein, besser zwei. Dann gehe ich zu dem kleinen Fach mit Alufolie und Butterbrotpapier, und ich denke noch, nein, Eiswürfelbeutel haben sie in diesem Mini-Markt sowieso nicht, da liegt sie auch schon vor mir: eine einsame Packung Eiswürfelbeutel.
    Das überrascht mich nicht nur, es erleichtert mich geradezu. Frau Coppola drückt die Tasten der Kasse. Sie sieht wirklich sehr nett aus. Ich hoffe, sie hat ein gutes Leben.

    Beim Rausgehen wünscht sie mir ein schönes Wochenende. »Tschöö!«, und ich sage auch »Tschöö«, obwohl ich finde, dass das total bescheuert klingt, tschö mit ö , aber irgendwie weiß ich sowieso nicht mehr, wo oben und wo unten ist. Vielleicht will ich auch die Zischattacke von vorhin wieder ausgleichen, und weil sie ja auch so nett zu mir ist, das Frollein Coppola in ihrem Tante-Sofia-Laden, die gute Seele, meine Schnapsfee.

    Der Kühlschrank hat gar kein Tiefkühlfach.
    Ich fülle trotzdem zwei Eiswürfelbeutel mit Wasser, stelle den Kühlschrank auf maximale Leistung und baue einen Turm aus Tellern und Schüsseln, mit dem ich die Beutel so fest wie möglich an die hintere Kühlschrankwand drücke.
    Eiswürfel sind wichtig. Genau wie Kopfkissen oder Kleiderbügel - minimaler Aufwand für maximalen Effekt. Im Radetzky dagegen meckern die Leute manchmal, ich solle ihren Longdrink mal nicht so »amimäßig« mit Eiswürfeln vollmachen, sie verdächtigen einen immer gleich, man wolle am Alkohol sparen.
    Die Sonne nervt. Erinnert mich daran, dass ich rausgehen sollte. Ich will nicht rausgehen. Will nichts und niemanden sehen. Also sperre ich die Sonne aus und lasse die Jalousien runter. Nur aus dem Flur scheint noch ein wenig Licht ins Zimmer. Schwach. Dezent. Angenehm. Nicht alles ausleuchtend wie dieser unbarmherzige Ball am Himmel.
    Ich ziehe mich bis auf die Unterhose aus, stelle das Radio an und lege mich aufs Bett. Es riecht immer noch nach Schweiß. Und jetzt doch auch ein bisschen nach Judith.

    Auf SWR1 läuft eine Sendung namens »Songbook«. Das Konzept der Sendung: Klassiker der Rock- und Popmusik werden ins Deutsche übersetzt und von dem Sprecher vorgetragen, als wären sie Gedichte.
    Â 
    Â»Du kannst schon an meinem Gang erkennen, dass ich ein Frauentyp bin,
    - da muss man nicht lange drumherumreden.
    Laute Musik und warme Frauenkörper - das ist meine Welt.
    Ich bin von klein an herumgeschubst worden, aber jetzt ist für mich alles in Butter,
    - du brauchst dich nicht mehr um mich zu kümmern.
    Wir könnten uns gemeinsam darüber Gedanken machen, welche Auswirkungen die Lektüre der New York Times auf die Menschheit hat,
    - wir können’s aber auch lassen.
    Egal, ob du ein Bruder oder eine Mutter oder sonst was bist:
    Sieh zu, dass du überlebst!
    Fühl nur, wie die Stadt förmlich explodiert und alle zittern und beben,
    - wir jedenfalls überleben!«
    Â 
    Mir ist noch nie aufgefallen, dass in diesem Song so ein Quatsch gesungen wird. Nicht, dass ich ein großer Bee-Gees-Fan wäre. Aber dass die was weiß ich wie viele Jahre vor dem Siegeszug von Gangsta-Rap mit so einem Unsinn durchgekommen sind, alle Achtung.
    Nach den Bee Gees kommt Werbung, unter anderem für eine Tanzveranstaltung mit Still Collins, der »besten Phil-Collins-Coverband der Welt«, wie eine tiefe Männerstimme behauptet.

    Dann geht es weiter mit Petula Clark, die in »Downtown« davon erzählt, dass ich, wenn ich einsam bin, doch einfach in die Stadt gehen und mich im bunten Licht der Schaufenster die Straße entlangtreiben lassen soll.
    Das verstehe ich auch ohne Übersetzung. Bevor der Moderator mir diese an sich gute, hier in Renderich aber völlig unumsetzbare Idee nochmal auf Deutsch und in Gedichtform vorträgt, schalte

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