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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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bin ein wenig rumgefahren, war in Bernkastel, und abends war ich echt müde, das Wetter wahrscheinlich …«
    Meine Worte klingen absolut hohl und unglaubwürdig in meinen Ohren, doch Flo nickt nur, als hätte er mir gar nicht zugehört. Wahrscheinlich ist er in Gedanken immer noch bei gestern Abend und seiner strahlenden Zukunft als glücklicher Qualitätswinzer.
    Judith zeigt keinerlei Regung. Sie liest, aber nicht so, als würde sie sich ängstlich hinter der Zeitung verstecken, sondern ganz entspannt.
    Ich glaube, sie liest wirklich.
    Oder kann sie so gut schauspielern?

    Laut Veranstaltungskalender des Trierischen Volksfreunds stehen heute drei Veranstaltungen zur Auswahl:
    1. die Weinprobe »Schnüffeln, Süffeln, Schwelgen - Weinnasen auf Aroma-Entdeckungstour« auf dem Hof Barzel hier in Renderich,
    2. die Mallorca-Party inklusive Eimer-Saufen, Go-go-Dancing und Wet-T-Shirt-Contest in der Discothek Exclusiv in Traben-Trarbach - »Bikini-Ladies kriegen einen Longdrink gratis«,
    3. die Weinkirmes in Sörz.
    15:30
Abholung der Weinkönigin Marie I. mit ihren Prinzessinnen Nadine und Stefanie
17:00
Blaskonzert mit der Winzerkapelle »Sörz 1904 e.V.«
18:00
Tänze mit den Kindern
19:00
Autogrammstunde der Weinmajestäten
20:00
Öffentliche Weinprobe - Probieren Sie über 15 verschiedene Weine von Sörzer Winzern - Eintritt frei!
    anschließend: Tanz und Unterhaltung im Festzelt mit der Tanzband SKYNAMITE
    Â 
    Flo sagt, dass Judith und er heute noch zum See fahren, »den schönen Tag genießen«. Abends wollen sie mit Freunden im Nachbarort Sörz an der Weinprobe teilnehmen. »Andrea und Yannik aus Wittlich, die musst du kennenlernen, die sind supernett.«
    Â»Stimmt das?«, frage ich in Judiths Richtung und versuche, dabei möglichst souverän zu klingen.
    Sie hebt nur die Schultern, sagt »Ja, klar« und gießt sich in Zeitlupe ein Glas Multivitaminsaft ein.
    Ich versuche es jetzt offensiv und starre sie an. Aber obwohl ich es wirklich will, schaffe ich es nicht, ihrem Blick
standzuhalten. Ihre grün-braunen Augen zucken kein bisschen, kühl und lässig liegen sie in einem Gesicht, das nur noch Oberfläche ist.
    Ich wende den Blick ab und fühle mich nicht nur, als hätte ich eine Schlacht verloren, sondern als wäre ich nicht mal ansatzweise ein ernstzunehmender Gegner gewesen.
    Ich stehe auf und gehe zur Tür.
    Â»Ruf mich an, wenn ihr wegen heute Abend etwas abgemacht habt«, sage ich zu Flo. Was ziemlich bescheuert klingt, weil er zu meiner Ferienwohnung ja nur zwanzig Schritte über den Hof gehen muss. Aber die Vorstellung, dass er das Zimmer betritt, in dem ich diese Nacht mit Judith verbracht habe … besser gar nicht dran denken. Einfach nicht dran denken und schnell raus hier.
    Â»Aye-aye, Captain!«, ruft mir Flo gut gelaunt hinterher.
    Er lacht. Ich lache nicht.
    Beinahe erliege ich der Lust, die Esszimmertür hinter mir zuzuwerfen, dass es scheppert und kracht. Damit Judith aufschreckt aus ihrer dämlichen Zeitungslektüre. Damit sie begreift, dass es so nun auch nicht geht, dass sie mich nicht einfach so ignorieren kann. Damit sie von Flo gefragt wird, was denn mit mir los sei, ob gestern irgendwas passiert sei, von dem er wissen müsse.
    Ich kann mich gerade noch beherrschen, es nicht zu tun.
    Ich weiß nicht, was das heute noch alles wird. Ich weiß nur, dass es ohne Schnaps nicht auszuhalten sein wird. Ich sollte mich also lieber vorbereiten, und ich sollte mich dabei beeilen. »Unser Dorfladen« schließt samstags schon um dreizehn Uhr, und die nächste Tankstelle befindet sich wahrscheinlich in Paris.
    Auf der Hauptstraße kommt mir schon wieder der dicke Junge mit dem roten Fahrrad entgegen. Verfolgt der mich,
oder was? Seine Mutter hat ihm offenbar endlich mal ein neues T-Shirt angezogen, er trägt jetzt ein gelbes. Seine Ballergeräusche macht er immer noch. Als er auf meiner Höhe ist, zische ich ihm etwas zu: »Verpiss dich, du Affe!«
    Als er erschrocken zu mir rübersieht und dann dermaßen in die Pedalen tritt, dass er bestimmt jeden Moment einen Herzkasper erleidet, legt sich das Gewicht von hundert dicken Jungen auf meine Schultern.
    Das Bedürfnis, Türen zu knallen und Menschen anzuzischen - das kleingeistige Verhalten meines schwächlichen Vaters, sein lächerlicher Sprachersatz, der ihn niemals auch nur einen Millimeter

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