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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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ich das Radio lieber schnell aus und drücke meinen Kopf in das Kissen.

    Erst die Türklingel, dann das Pfeifen draußen vorm Balkon, und schließlich versucht Flo es auf meinem Handy. Erleichterung, als er endlich aufgibt. Kurz darauf höre ich den Golf vom Hof fahren.
    Ich habe mindestens zweieinhalb Stunden geschlafen. Draußen läuten die Kirchenglocken für die Siebzehn-Uhr-Andacht. Ich stehe auf, ziehe mir ein Hemd über und gehe pissen. Auf dem Rückweg schaue ich nach den Eiswürfeln. Es hat geklappt, die eine Hälfte des Beutels ist schon gefroren.
    Ich mixe mir einen Gin Tonic und setze mich damit an den Tisch.
    Das Schönste auf der Welt ist der allererste Drink des Tages. Der scharfe Geschmack des Gin zieht direkt die Nase hoch. Ich kann spüren, wie der Alkohol die Blutbahn erreicht. Die besten Dinge auf der Welt sind so einfach. Gin, Tonic, Eis. Eine klare Sache. Wenn alles so unkompliziert wäre wie dieses Getränk, die Menschheit hätte ein paar Probleme weniger.
    Ich rauche eine Zigarette und mixe mir einen zweiten.

    Er schmeckt noch besser als der erste. Ein leichtes Vibrieren im Kopf. Die erste winzige Veränderung in der Wahrnehmung von Licht, Klang, Bewegung.
    Alle Gesetze des Rausches befolgend, meldet sich als Nächstes das dringende Bedürfnis, gute Musik zu hören. »Bizarre Love Triangle« von New Order zum Beispiel. Was für ein fantastisches Lied.
    Â»Every time I think of you I feel shot right through with a bolt of blue …«
    Ich weiß nicht mal, was das heißen soll, »a bolt of blue«, keine Ahnung, aber das ist ja egal, das ist vielleicht sogar das Schöne daran. Der Song ist größer, als es jede noch so schlaue Aussage jemals sein könnte. Er hat die Macht, sämtliche Stupidität des Daseins zu kompensieren, und eine Melodie, die die Menschheit überleben wird.
    Â»Every time I see you falling I get down on my knees and pray …«
    Was würde ich dafür geben, dieses Lied jetzt hören zu können. Aber es geht nicht, weil ich Idiot ja meinen iPod vergessen habe. Also stelle ich das Radio wieder an und lege mich mit einem neuen Getränk aufs Bett.
    Das »SWR1 Songbook« ist beendet, aber die Musik ist immer noch auszuhalten. Sie spielen »You Really Got Me«, »Sitting on the Dock of the Bay«, »Solsbury Hill«, »I’m on Fire« und allerhand anderen Kram, den ich nicht kenne, der mir aber immerhin nicht die Krätze in die Ohren treibt. Nach jedem Lied ertönt der Anfang von »Bizarre Love Triangle«, dieser herrlich synthetisch klingende Snarewirbel, Tatata-ta-ta-tatatatatatata , aber leider nur in meinem Kopf. Aus dem Radio kommen stattdessen die Stones. »You can’t always get what you want« . Haha, was du nicht sagst,
Mick. Ein Satz, der schon als Binsenweisheit auf die Welt gekommen ist. Er war bereits abgeschmackt, als er vor zwei Millionen Jahren zum ersten Mal von einem sarkastischen Höhlenmenschen geäußert wurde. Aber jetzt gerade passt er eigentlich ganz gut. Nur »You can’t always know what you want« wäre noch passender.
    Ich stehe auf und ziehe die Jalousien hoch. Die Abendsonne ergießt sich ins Zimmer. Das Licht flutet den Raum wie flüssiges Blei, wie Lava, wie … na ja, wie sehr helles Licht halt. Der Boden hebt und senkt sich. Ich mixe mir den vierten Gin Tonic, und als ich mich mit leichter Schlagseite wieder aufs Bett fallen lasse, beginnen Nancy Sinatra und Lee Hazlewood gerade, von Sommer und Wein zu singen.
    Â»Take off your silver spurs and help me pass the time and I will give to you: Summer Wine.«
    SWR1, was für ein seltsamer Sender. Egal, was dort läuft, es scheint immer irgendwas mit mir und diesem verfluchten Tal zu tun zu haben. Ist das Zufall, oder will mich hier irgendwer verarschen?
    Â 
    Warum musste Flo eigentlich ausgerechnet gestern Abend seine Mutter zu dieser Weinprobe begleiten?
    Warum kam Judith zufällig in dem Augenblick nach Hause, als ich nach diesen bekloppten Turmfalken gesucht habe, genau in dem Moment, als ich mich ein bisschen übers Geländer lehnte, so dass sie mich vom Hof aus sehen konnte?
    Und warum hatte sie eigentlich rein zufällig Kondome dabei!
    Â 
    Ganz ruhig. Nicht paranoid werden, Meise, das passt doch gar nicht zu dir.

    Was passiert ist, ist passiert. War eigentlich die ganze Zeit abzusehen. Hat sich in all den Spielchen und Blicken

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