Was kostet die Welt
damit man die vielen Ringe besser sieht. Beide Ohren sind voll damit. Er hat auch einen dieser Fleischtunnel, wie Flo, nur dass Yanniks Ohrläppchen noch weiter gedehnt sind. In ein paar Jahren werden die beiden sich dafür in Grund und Boden schämen. Oder auch nicht, noch schlimmer.
Yannik hat auÃerdem beide Nasenlöcher gepierct und eine Schlange auf den Arm tätowiert. Sein schwarzes Motörhead-T-Shirt sieht aus wie eins von den Bootlegs, die Yolandas Kumpel Mücke in seinem Keller druckt und im Internet zu horrenden Preisen verscherbelt.
»Meise? Geiler Name!«, sagt Yannik, schiebt sich ein Stück Speckbrot in den Mund und kaut wie ein Kamel darauf herum. Meine Güte, es kann doch nicht so schwer sein, beim Essen das Maul geschlossen zu halten. Itchy schmatzt auch, und wenn ich ihn darauf aufmerksam mache, behauptet er immer, es würde besser schmecken, wenn man mit offenem Mund isst. Macht mich ganz wahnsinnig, dass ein erwachsener Mensch so einen Unsinn redet und wirklich glaubt, er würde damit durchkommen. Seine Freundin
Andrea ist schlank, hat aber ziemlich dicke Backen. Vielleicht hat man beim letzten Zahnarztbesuch ein paar Wattebäusche in ihrem Mund vergessen. Vielleicht wurden ihr auch gerade sämtliche Weisheitszähne gezogen. Ãber den Wangenhügeln sitzen zwei weit aufgerissene Glubschaugen. Als stünde hinter ihr ein unsichtbarer Mensch, der ihr den Zopf eine Spur zu fest zieht.
»Haa-looo, schön, dich kennenzulernen, wir haben ja schon sooo viiiel von dir ge-hööört.«
Sie singt fast, jeder Vokal bekommt eine kleine Melodie verpasst, was ihrer Stimme einen jammernden Ton verleiht, etwas Leierndes, Nörgelndes.
Andrea ist Lehrerin. Referendariat am Gymnasium in Wittlich. War ja klar. Geboren, um das ganze Leben an Schulen zu verbringen. Kindergarten, Schule, Uni, Schule, Rente. Na herrlich. Sie war mit Sicherheit eine dieser Streberinnen, die immer gute Noten schreiben, aber unfähig sind, auch nur einen interessanten Gedanken zu denken. Typ Klassensprecherin. Ihr Studium hat sie in Rekordzeit durchgezogen, denn Ehrgeiz ist ihr zweiter Vorname. Ich wette, sie hat irgendwo ein Piercing versteckt, vielleicht am Bauchnabel, oder ein Tattoo mit chinesischen Schriftzeichen zwischen den Schultern, die irgendeine Message haben wie »Carpe Diem« oder »Lebe deinen Traum«, sie interessiert sich für Psychologie und Tibet, und im Flur der stets aufgeräumten Neubauwohnung, die sie seit drei Jahren mit Yannik bewohnt, hängt ein gerahmtes Poster von James Dean oder Marilyn Monroe an der Wand, vielleicht auch was von Janosch oder U2 oder Amnesty International, Hände in Ketten, ein schreiendes Kind, irgend so was, schlieÃlich ist Protest wichtig, aber bitte immer schön zivilisiert, den Mantel ordentlich an die Garderobe, die Schuhe vor der Tür ausziehen,
zu Hause gemütlich in Puschen und Wohlfühlkleidung, immer eine gute Flasche Wein im Haus, und italienisches Knabbergebäck, falls mal Gäste kommen, »Rauchen bitte nur auf dem Balkon!«, ist klar, ein paar teure Fotobücher wie zufällig liegen gelassen auf dem flachen Glastisch im Wohnzimmer positioniert, CDs und DVDs sauber geordnet in den Vitrinen, ein riesiger Flachbildfernseher in der Ecke, denn Yannik steht total auf Filme, Filme findet er echt cool, sein Lieblingsregisseur ist Quentin Tarantino, sein Lieblingsschauspieler Robert De Niro, seine Lieblingsschauspielerin der Pornostar Sasha Grey, aber das darf Andrea nicht wissen, Pornografie kommt ihr nicht ins Haus, und auch zum Fernsehen hat sie eine kritische Haltung (»Also die Flimmerkiste habe ich nur ganz selten an, ab und zu mal eine Doku auf 3sat, aber sonst?«), doch wenn man nachfragt, gibt sie kichernd zu, dass sie fünf Jahre lang keine Folge von Marienhof verpasst hat, und ein- bis zweimal im Monat gibt es einen Sex and the City -Abend mit ihren alten Schulfreundinnen, die sie »meine Mädels« nennt, dann drehen die Mädels total auf, eine echt verrückte Clique, und die Eltern schauen auch regelmäÃig mal rein, sie sind ja so stolz auf ihre Tochter, Andrea erzählt immer gerne, dass ihre Mutter für sie so was wie eine Freundin ist, »eine Seelenverwandte«, und auch mit ihrem Papi versteht sie sich einfach super, manchmal werfen sie einen kurzen Blick ins Arbeitszimmer, »das ist Yannis Reich!«, sagt Andrea dann, sie nennt ihn gerne
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