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Was Liebe ist

Was Liebe ist

Titel: Was Liebe ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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verhalten.«
    »Wir sind in der tiefsten holländischen Provinz.« Piet wendet sich an Zoes Mutter. »Entschuldige.«
    Sie reagiert nicht. Hat sie Piet erzählt, wer der Mann, mit dem Zoe eine Woche lang zusammen war, in Wahrheit ist? Wohl nicht. Wie könnte sie je jemandem erzählen, dass ihre Kinder sich geliebt haben.
    Er verstreicht Kräuterquark auf seinem Brot, stark duftend, selbstgemacht. »Im Moment kann man nur abwarten.«
    Piet halbiert eine Tomate. »Sie scheinen sich ja nicht sehr viel Sorgen um Zoe zu machen.«
    »Ich mache mir Sorgen um Zoe«, entgegnet er. »Aber im Moment ist die Narkose der einzige Weg, Zoes Gehirn vor sich selbst zu schützen.«
    »Gut, dass wenigstens einer von uns Bescheid weiß.«
    »Die Behandlung eines Status epilepticus mit Propofol ist eine Standardtherapie. Ich glaube nicht, dass wir die Kompetenz haben, das zu beurteilen.«
    »Sie ja offenbar schon.«
    Er darf nicht zu weit gehen. »Das ist das, was man mir im Krankenhaus gesagt hat. Akzeptieren Sie doch einfach, dass ich dabei war, als es passiert ist. Akzeptieren Sie, dass ich im Krankenwagen an Zoes Seite gesessen und mit den Ärzten geredet habe und nicht Sie.«
    »Und das macht Sie bereits zum Experten in Sachen Epilepsie?«, sagt Piet und verfällt allmählich wieder in seinen distanziert-spöttischen Ton. »Ich finde, Sie halten sich sehr schnell für einen Experten. Musik, Medizin – haben Sie sonstnoch brachliegende Talente? Aber seien Sie in Zukunft etwas vorsichtiger. Für Zoe waren Ihre Talente nicht gerade ein Segen.«
    »Zoe wollte , dass ich sie auf dem Klavier begleite. Diesen Wunsch äußert sie offenbar nicht bei jedem Musiker.«
    »Natürlich nicht. Nur bei denen, die ihre Vorlieben und Neigungen bedienen.«
    »Und Sie finden, das sollte man nicht tun?«
    »Man sollte wissen, wann und wo.«
    Die Frau, die seine Mutter ist, schmeißt ihr Besteck auf den Tisch. »Jetzt reicht’s. Ihr seid unerträglich. Das hilft Zoe nicht! Das hilft keinem!«
    Der kurze heftige Ausbruch erinnert ihn an Zoe, die ihn mit funkelnden Augen ins Gesicht schlägt. Er sehnt sich nach ihr. Doch schon im nächsten Moment verwandelt die Sehnsucht sich in Schmerz und Scham. Zoe ist seine Schwester.
    Der einzige freie Raum im Haus ist Zoes ehemaliges Zimmer. Er verzichtet gerne darauf, dort zu übernachten, und zieht mit seinem Koffer ins Atelier. Dort gibt es eine Couch. Er denkt: Es hat mit einer Nacht auf einer Couch angefangen, und so endet es auch.
    Aber er kann wieder nicht schlafen. Er hat aufgehört, sich über die physischen Vorgänge in seinem Körper Gedanken zu machen. Es ist ihm egal, ob er sich in einer Phase des epileptischen Prodroms befindet oder ganz einfach in einem seelischen Ausnahmezustand. Wahrscheinlich ist das eine vom anderen sowieso nicht zu unterscheiden.
    Im Licht einer schwachen Leuchte neben dem Sofa sitzt er da und betrachtet die Bilder. In einem Regal, das ihm beiTageslicht nicht aufgefallen ist, stehen und liegen kleinere Skulpturen und Figuren, archaische, naiv in die knorrigen Strukturen von Wurzeln geschnitzte Fabelwesen. Die, die nicht geschlechtslos sind, sind weiblich. Göttinnen vermutlich.
    Irgendwann öffnet sich die Tür, und Zoes Mutter kommt herein, gehüllt in eine lange gesteppte Jacke aus dunkelroter Naturseide. Es ist kühl im Atelier, das durch ein elektrisches Gebläse beheizt werden kann, das er nicht angestellt hat.
    »Ich habe Licht gesehen«, sagt sie.
    Immer wenn er sie betrachtet, versucht er ihre Gesichtszüge mit dem Aussehen seiner Mutter zur Deckung zu bringen. Aber seine Erinnerung ist zu undeutlich. Er entdeckt mehr Ähnlichkeiten mit Zoe als mit dem Bild der jungen Frau, die ihn vor dreißig Jahren verlassen hat.
    »Ich kann nicht schlafen«, sagt er.
    »Geht mir genauso.« Sie bleibt an der Ateliertür stehen, die Arme vor der Brust verschränkt zum Schutz gegen die Kälte. Sie ist ungefähr Jahrgang 1940. Präzise weiß er es nicht. Aber sie war, als sie gegangen ist, etwa in dem Alter, in dem Zoe jetzt ist. Hätte ihn Zoe an sie erinnern können? Erinnern müssen?
    »Was willst du?«
    Nach einer Weile sagt sie: »Ich habe Angst vor dem, was kommt. Alles wird sich ändern.«
    Er ärgert sich wieder über sie. Bei allem, was geschieht, kann sie offenbar nur an sich denken. »Nichts wird sich ändern. Nur wir beide wissen, was geschehen ist. Dabei kann es bleiben. Ich werde morgen abreisen, und du wirst Zoe sagen,dass ich mir nicht vorstellen konnte, mit einer

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