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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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Bett.
    Er legte seine Kleider auf den schwarzen Holzdielen zu einem Haufen zusammen und vermied immer noch jedes Geräusch, denn die Vorstellung, einfach zu ihr ins Bett zu schlüpfen, ohne daß sie es merkte, paßte gut zu seinem frisch gefaßten Vorsatz zur Monogamie. Behutsam hob er die rechte Hälfte des weißen Federbetts hoch, schlüpfte darunter und rückte ganz nah an sie heran. Vics schlaksiger dünner Körper paßte sich immer gut an die lange geschwungene Linie von ihrem an, sie fügten sich ineinander wie die Teile eines Werkzeugkastens. Wirklich schade, daß ich nie die ganze Nacht so liegen kann, dachte Vic, als er spürte, wie gut er bei ihr andockte, seine rechte Hand zwischen ihre Brüste schlängelte und seinen Kopf auf ihre Schulter legte; vielleicht kann ich es jetzt ja, schließlich habe ich es schon einmal hingekriegt — aber lieber überhaupt nicht an sie denken. Tess gab ein leises Halbschlafseufzen von sich und warf einen Arm nach hinten über Vic. Eine sanfte Ruhe überkam Vic, und dieses Gefühl ließ er durch seinen Kopf kreisen und kostete es aus, so wie Tess ihre Weine probierte, ließ es sich auf der Zunge zergehen und genoß diese herrliche Intimität in vollen Zügen, die es ihm erlaubte, einfach aufzutauchen und ohne Einladung zu ihr ins Bett zu kriechen. Wie schön, dachte er, daß sie selbst im Schlaf weiß, wer neben ihr ist, solche Vertrautheit, solche Selbstverständlichkeit. Ihre Gereiztheit von gestern war offenbar ganz verflogen.
    Auf der anderen Seite des Betts riß Tess die Augen auf; obwohl das Morgenlicht durch die Musselinvorhänge flutete, sprangen sie ohne jedes Übergangsblinzeln von fest geschlossen zu weit auf.
    »Vic?« murmelte sie.
    »Hmmm...?«
    Sie drehte sich um. Ihre Gesichter waren einander so nah wie eben bei einem im Bett liegenden Liebespaar, weshalb jeder die Züge des anderen enorm verbreitert sah, wie bei den Köpfen der Statuen auf der Osterinsel. Er küßte sie sanft; ihr Atem roch moschusartig, eine Mischung aus Schlaf und, so nahm er an, Alkohol von gestern abend.
    »Wie lange bist du schon hier?«
    »Fünf Minuten...«
    »Wirklich...?« Sie richtete sich auf, um über ihn hinweg auf die Nachttischuhr zu sehen. »Oh...«, jammerte sie im nächsten Moment und faßte sich an die Stirn, denn bei jeder Bewegung brummte ihr der Kopf.
    »Was ist?«
    »Aaach nichts...«
    »Kater?«
    »Hmm. Vielleicht. Wie spät ist es?«
    Vic sah auf die Uhr. »Viertel nach zehn.«
    »Oh. Scheiße...«
    »Macht doch nichts«, sagte Vic, drehte sich um und nahm sie in die Arme. »Bleib noch ein bißchen im Bett.«
    Er hatte erwartet, daß sie dahinschmelzen würde, aber ihr Körper wurde steif in seinen Armen.
    »Vic. Laß mich nur schnell ein paar Kopfschmerztabletten holen...«
    Sie wand sich aus seinen Armen und warf die Bettdecke zurück; auf dem Weg zur Tür schnappte sie sich ein langes weißes T-Shirt und zog es sich im Gehen über den Kopf, der Stoff fiel mit einem Rutsch ihre Hinterseite hinab wie die Rolladen der Buden auf dem Soho-Markt.
    Im Badezimmer sah Tess sich im Spiegel an, demselben, der am Abend zuvor ihr Selbstbild zerschmettert hatte. Ich sehe noch genauso aus wie gestern, dachte sie. Heute nacht ist eine Menge passiert, aber mein Gesicht hat das nicht verändert. Sie ging ganz nah an den Spiegel heran und prüfte, ob nicht doch irgendwelche Spuren zu sehen waren. Vielleicht, dachte sie, kann ich es verhindern, alt zu werden, wenn ich ununterbrochen in den Spiegel gucke. Nie sieht man den Alterungsprozeß, sinnierte sie. Er passiert in Sprüngen, kommt als Schock — plötzlich bemerkt man eine graue Haarsträhne, als nächstes eine Falte unter dem Auge, und irgendwann sieht man in einem Ladenspiegel, was für einen krummen Rücken man plötzlich hat. Wenn es also einen Weg gäbe, sich selbst keinen Moment aus dem Auge zu lassen, würde man vielleicht nie sterben.
    Sie ging zum Badezimmerschrank und sah wieder ihr Spiegelbild — immer noch dasselbe, dachte sie, ehe sie die Spiegeltür aufklappte und ihr Bild verschwand. Sie holte eine kleine Flasche heraus, schloß die Tür und sah sich wieder an. Wie gehabt! Sie hob die Hand an ihr Gesicht und roch daran, beschnüffelte sie, ob sie nach jemand anderem roch. Vielleicht sollte ich duschen, dachte sie. Aber dann hörte sie Vics Stimme aus dem Schlafzimmer.
    »Was hast du gesagt?« fragte sie, als sie ins Schlafzimmer zurückkam, einen Zahnputzbecher in der rechten Hand und zwei rote Pillen in der

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