Was man so Liebe nennt
sagte sie und schüttelte den Kopf. »Bloß die übliche Untersuchung beim Frauenarzt vor sechs Monaten. War alles in Ordnung.«
Joe drehte die Handflächen nach oben. »Wenn das so ist, dann habe ich einfach einen entsetzlich dummen Fehler gemacht. Wirklich. Faß uns einfach vergessen, daß ich heute abend hergekommen bin.«
»Aber warum...«
»Dein Name tauchte auf einem unserer Laborcomputer auf, in Zusammenhang mit einer Biopsie, bei der ein bösartiger Tumor festgestellt wurde. Ein sehr bösartiger Tumor.«
Tess riß die Augen auf. »Scheiße.«
»Dein Name stand da: Tessa Carroll. Aber offenkundig heißt noch jemand so wie du. Es ist nur so, daß auch all die anderen Angaben paßten — Alter, Adresse und so weiter —, und so hat es sich einfach in meinem Kopf festgesetzt, daß du es sein mußt. Ich ging also davon aus«, er zählte an den Fingern seine Schlußfolgerungen ab, »erstens, daß du es bist, zweitens, daß du mittlerweile die Ergebnisse bekommen hast, und da ich mich drittens nun einmal einigermaßen mit derlei Dingen auskenne, sagte ich mir, ich geh am besten zu dir und sehe, ob ich irgendwie helfen kann.« Joes Arme sackten über die Sessellehne herab. »Und jetzt komm ich mir wie der allerdämlichste Tolpatsch vor.«
Tess, die Joes kleine Ansprache dazu genutzt hatte, sich noch einen Schluck zu genehmigen, spürte den Whisky in ihren Mund fließen, aber nicht die Kehle hinunter, denn die hatte zu beben angefangen. Tess stierte auf den Boden, während der Whisky sich in ihren Wangen staute.
»Was ist?« fragte Joe. Am ganzen Körper zitternd, streckte Tess die Arme aus und drehte die Handflächen nach oben. »Was hast du?« drang er in sie. Sie zeigte auf ihren Mund und gestikulierte heftig mit der Hand.
»Hmmmmm-mmmmm! Hammmm!«
» Was? «
Schließlich schnappte sie ihr noch halb volles Glas und öffnete ihren Mund darüber. »Paaa!« schnaubte sie, als die braune, ölige Flüssigkeit in das Glas zurückfloß. »Oh! Hahahahahahaha! Haaaa!«
Joe lächelte linkisch und bemühte sich, gelassen auszusehen: Hysterie ist immer peinlich für den verdutzten Betrachter. Sein Ohrläppchen war blutrot.
»Haha — oh — entschuldige, Joe...« Sie verschluckte sich, rang nach Luft. »Aber — ah — es ist eine Ewigkeit her, seit ich jemand ohne Ironie das Wort >Tolpatsch< habe benutzen hören.« Joe nickte, war’s zufrieden, als unfreiwilliger Scherzbold dazustehen. »Und dann, oje-«, fuhr sie fort, wischte sich mit den Fingern über die Augen, »Die Art wie du geguckt hast — so zerknirscht, so ratlos, nach deiner ganzen Feierlichkeit — , du hast den Nagel auf den Kopf getroffen! Du sahst wirklich dermaßen wie ein Tooollllpaahahha...«
Jetzt ließ sie sich quer übers Sofa plumpsen. Sie ist besoffen, dachte Joe, als Tess da lag und sich schüttelte vor Lachen. Total hinüber. Kindisches Selbstmitleid stieg in ihm auf. Ich wollte bloß helfen, dachte er, und jetzt das da: Jetzt werde ich ausgelacht. Was ist in letzter Zeit bloß mit mir los, daß Frauen mich dauernd als... Tolpatsch behandeln?
Vielleicht war das der Grund, warum er eine kurze Pause in ihrem Gelächter abwartete und dann, für seine Begriffe, etwas Grausames sagte: »Und weshalb glaubst du, daß Vic eine Affäre hat?«
Tess antwortete nicht sofort, aber allmählich flaute das Schütteln ihres Körpers ab, und die Keucher und Schlucker inmitten ihres Gelächters verebbten. Eine Weile lag sie völlig reglos da, so lange jedenfalls, daß Joe sich Sorgen zu machen begann und mit der Überlegung, ihr den Puls zu fühlen, auf ihr nach oben gedrehtes Handgelenk guckte, das am Ende ihres schlapp über die Sofalehne hängenden Arms auf dem Boden lag. Aber dann drehte Tess die Hand herum und stützte sich darauf ab, um sich aufzurichten. Mit seinen überreizten Nerven meinte Joe zu hören, wie der rauhe Teppich über ihre zarte Handfläche kratzte. Tess setzte sich rechtwinklig hin und guckte ihn durch zusammengekniffene Augen an, als sei sie gerade aufgewacht.
»Wie besoffen bist du?« fragte sie.
Joe hob eine Augenbraue. »Nicht so wie du.«
Tess’ Gesicht blieb ungerührt. »Stimmt. Aber...«, sie hielt inne, »ein bißchen schon?«
Joe lächelte und nickte zweimal langsam. »Ein bißchen.«
Tess musterte ihn von oben bis unten und sah dann zum Fenster hinaus. Regen prasselte gegen die Außenscheiben und verwischte das U-Bahn-Schild, wodurch es noch mehr wie Saturn aussah, mit einem weichen blauen Dunstkreis drum
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