Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
Holz und Pilze gesucht oder Nester aufgestöbert hatte. Es gab nur eine einzige Baumart, derenNamen er nicht kannte, keinen Mischwald aus Buchen, Eschen, Erlen und Kastanien, kein Unterholz, keinen fruchtbaren Humus, sondern sandige, unfruchtbare Erde. Außer verschiedenen Fliegen und Echsen war kein Tier zu sehen. Die vielen Geräusche des Waldes – der leichte Wind in den Blättern, das Knacken der Äste, leises Bachgeplätscher, das Geraschel versteckter Tiere, die eigenen Schritte – all das gab es hier nicht. Die Luft war erfüllt von niederdrückender Stille.
    Wenn er sich von der Bucht entfernte, würden ihn seine Kameraden von der Saint-Paul nie mehr finden. Doch wenn er die Alte einfach weiterziehen ließ und allein zurückging, würde er sicher verhungern und verdursten, bevor sie zurückkämen. Er musste mit ihr gemeinsam umkehren. Er wollte sich ihr mit ausgebreiteten Armen in den Weg stellen, um sie aufzuhalten. Wieder wich sie mit einer tanzenden Bewegung aus. Ohne ihr Tempo zu verlangsamen oder von ihrer Route abzuweichen, schlüpfte sie unter seinem Arm hindurch und ging weiter.
    Ebenfalls weitergehen? Was konnte er sonst tun? Sie drehte sich nicht einmal um, wollte nicht einmal sehen, ob er ihr folgte. Er zögerte und ging dann zwanzig Schritte hinter ihr.
    Die Ebene stieg an zu einem leichten Hang, der immer steiler wurde, steil wie ein Berg. Oben angekommen, würde er das Meer sehen, seine Position bestimmen und einen Weg zur Bucht ausmachen können.
    Doch als sie oben auf dem flachen Gipfel ankamen, war er von den gleichen Bäumen bestanden, die den Ausblick versperrten. Die Alte lief immer weiter, es ging wieder nach unten. Orientierungslos und verloren, wie er war, kam es ihm vor, als würde er sich aus der Welt der Lebenden entfernen und in ein Fegefeuer begeben, aus dem es kein Entrinnen gab. Der Boden war nicht mehr sandig, sondern aus rotem Staub.
    Es wurde Abend. Zu den Anstrengungen des Laufens gesellten sich Hunger und Durst und ließen ihn erneut wie einen Betrunkenentaumeln. Hin und wieder wurde er von Ästen und Blättern gepeitscht, denen er nicht mehr auszuweichen vermochte.
    Mit einem Mal traten die Bäume auseinander und gaben eine mittelgroße Lichtung frei, deren Zentrum ein dunkelgrüner Wassertümpel bildete.
    Jenseits dieses Tümpels brannte ein Feuer.
    Zweiter Brief
    Sydney, 17. März 1861
    Monsieur le Président,
    was ich anfangs für eine Anekdote hielt, verwandelt sich nach und nach in ein Abenteuer, und ich halte es für sinnvoll, Ihnen von den wichtigsten Ereignissen zu berichten.
    Der Gouverneur hat sein Wort gehalten. Gleich nachdem ich ihm mein Einverständnis mitgeteilt hatte, stellte er mir alles Nötige zur Verfügung und erkundigte sich nach meinen Bedürfnissen.
    In meinem Hotel ein Zimmer für Narcisse anzumieten war undenkbar. Kein Etablissement hätte diesen halb nackten, tätowierten, stummen, zerzausten und etwas unheimlichen Fremden aufgenommen. Sofort nach Frankreich abzusegeln, war noch undenkbarer. Welcher Kapitän hätte einen solchen Passagier an Bord gelassen? Narcisse muss vor allem unsere Sprache wiedererlernen, unsere Umgangsformen, unsere Sitten und Gebräuche, und er muss lernen, Kleidung zu tragen. Bevor ich ihn zurückbringen kann, muss ich ihn ein paar Wochen lang unterweisen.
    Die Kolonie stellte mir ein kleines Haus am Ende des längsten Ausläufers in der Bucht von Sydney zur Verfügung. Anscheinendwurde das elegante einstöckige Haus für die Mätresse eines ehemaligen Gouverneurs erbaut. Es geht aufs Meer hinaus und liegt zugleich an einem Flüsschen und ist nur mit einer Schaluppe oder über einen sehr schlechten Weg zu erreichen. Am Tor stellte man einige Wachen auf, die Anweisung hatten, sich nicht sehen zu lassen. Zu unserem Schutz, um uns auszuspionieren oder eine Flucht zu vereiteln? Es spielt keine große Rolle.
    Auf der Schaluppe, die uns hierherbrachte, befand sich auch der Hausdiener, nach dem ich verlangt hatte. Bill ist vor drei Jahren aus dem Sträflingslager entlassen worden, ich weiß nicht, in welche Diebereien er einst verwickelt war. In London arbeitete er in einigen Bürgerhäusern. Er ist umtriebig, intelligent, ehrgeizig und gehorcht aus Kalkül: Er weiß genau, dass seine Zukunft in Australien von meiner Beurteilung abhängt.
    In dem Haus befindet sich eine Wohnung, die mit Geschmack eingerichtet ist und auf eine Terrasse hinausgeht. Im hinteren Teil liegen die Küche und zwei Räume, die einfacher ausgestattet

Weitere Kostenlose Bücher