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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Narcisse schon erwachsen ist und ich ihn ohne verwandtschaftliche Bande bei mir aufgenommen habe.
    Entgegen meiner Absicht beginnt dieser Brief ebenso konfus, wie mein letzter geendet hat, und ich gelobe, mich fortan in diesem Punkt zu bessern.
    Das Wichtigste zuerst. Narcisse hat seit einem Monat die Sprache wiedergefunden, und seine Lernfähigkeit erstaunt mich ein ums andere Mal.
    Mit der Syntax hapert es noch, auch mit den Artikeln, aber wir sind auf einem guten Weg. Mir fällt auf, dass er zwar die Fehler eines Vierjährigen macht, in einer Woche jedoch so viel lernt wie ein Kindin sechs Monaten. Seine Aussprache ist eigenwillig, er verformt die Wörter, bringt sie zum Klingen, mitunter verziert er sie mit einem sonderbaren Rachenlaut.
    Sein Lerneifer ist unübersehbar. Zweimal am Tag je zwei Stunden Unterricht, und niemals ist er es, der ihn beendet. Den Rest der Zeit verbringt er mit Baden, Schlafen oder Spaziergängen, wechselt zwischendurch einige Worte mit mir oder schaut Bill schweigend bei der Arbeit zu.
    Wenn ich ihn so beim Korbflechten betrachte, frage ich mich, ob es ihm gut geht. Diese Frage ist freilich nicht zu beantworten, er gibt schließlich keinen Einblick in seine Gefühlswelt und lebt augenscheinlich von einem Tag auf den anderen. Der Zufall wollte es, dass er auf der John Bell landete, in dem Gefängnis des Gouverneurs und in diesem abgeschiedenen Haus, und er überlässt sich ganz seinem Schicksal. Ist es Weisheit? Gleichgültigkeit? Mangel an Neugier und Initiative? Wer wollte das entscheiden?
    Als die John Bell wieder in der Bucht von Sydney auftauchte, sandte mir der Gouverneur wie gewünscht die Schaluppe, damit ich vom Kapitän mehr über die Umstände erfahren konnte, unter denen der weiße Wilde aufgefunden worden war. Ich traf bei Abenddämmerung in der Stadt ein. Man hatte im besten Hotel ein Zimmer für mich reserviert. Es gibt nichts Schaleres als einen Abend im Hotel: die Herren in Abendgarderobe, die Frauen in schulterfreien Pariser Gewändern, alle freundlich plaudernd auf der Terrasse, während ein Sträfling am Klavier gekonnt ein paar Tanzmelodien klimpert.
    Wie soll ich das Unbehagen, welches mich bei der Ankunft befiel und auch beim Dinner nicht losließ, in Worte fassen? Es war weniger die Sehnsucht nach meinen ruhigen Abenden mit Bill, der mich bediente, und Narcisse, der dabei zusah. Vielmehr hatte ich Mühe, bei den mondänen Tischgesprächen mitzuhalten, ich hatte das unangenehme Gefühl, dieser Welt nicht mehr anzugehören. Nach demNachtmahl flüchtete ich vor der Gesellschaft mit ihrem Geschwätz, streifte ziellos durch die Straßen der Stadt und landete schließlich am Hafen. Vor den Eingängen der Tavernen buhlten Seeleute und Soldaten, an ihren Armen hingen Mädchen, vermutlich gehörten sie zur Strafkolonie. Am Ende fast jeder Straße standen zwei oder drei Häuser mit roten Laternen. Ich eilte weiter, aber der Trost, den meine unruhige Seele dabei fand, war nur notdürftig und nicht von Dauer.
    Die Begegnung fand frühmorgens im Büro des Gouverneurs statt. Kapitän Rowlands, ein kleiner, erstaunlich mürrischer und verschlagener Mann, grüßte mich kaum und verhehlte nicht, dass er das Ganze für Zeitverschwendung hielt. Allerdings ist er mit der Zollbehörde Seiner Majestät nicht ganz im Reinen, und so konnte er mich nicht einfach zum Teufel schicken – was er, wenn möglich, mit größtem Vergnügen getan hätte.
    Wie alle Seeleute war er wortkarg. Die Anwesenheit des Gouverneurs und die Fragen eines fremden Franzosen ermunterten ihn nicht gerade zu Vertraulichkeiten. Ich musste immer wieder nachhaken, um ihm interessante Einzelheiten zu entlocken, und hatte am Ende folgenden Bericht:
    «Am 19. Februar waren einige Masten beschädigt. Ich brauchte ruhige Gewässer, um die Zimmermänner hinaufschicken zu können. Man hatte mir von dieser Bucht im Norden, unterhalb von Kap York, erzählt. In der Früh lief die John Bell dort ein, und die Reparaturarbeiten begannen.
    Ich erlaubte einigen Männern, die nicht zum Ausbessern gebrauchtwurden, an Land zu gehen. Sie liefen kurz am Strand entlang. Von der Mastspitze aus bemerkte dann einer der Matrosen die Wilden, die zwischen den Felsen nach Muscheln suchten. Er pfiff, um unsere Leute auf sie aufmerksam zu machen, und gab ihnen das Zeichen hinzugehen.
    Diese Schreckgestalten sind doch immer wieder eine guteAbwechslung. Vor allem auf die Neuen machen sie ziemlich Eindruck. Und wenn irgendein junger Kerl eines von

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