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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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und wird es ihm gelingen, von ihnen aufgenommen zu werden? Spricht er ihre Sprache? Wird er die Kraft haben, sich drei- oder vierhundert Meilen weiter südlich von Neuem bei ihnen einzuleben?
    Ich werde es niemals erfahren. Dieses vor zwei Monaten begonnene Abenteuer endet nun so, ohne irgendeine Lehre oder Bedeutung. Alles, was ich begonnen habe und was mir für die Zukunft vorschwebte, bleibt unvollendet.
    Während ich diese Gedanken niederschrieb, unterbrach mich ein Reiter und überbrachte mir eine Nachricht des Gouverneurs. Er hatte mit der Rückkehr der Schaluppe von Narcisse’ Verschwindenerfahren – er sagte nicht, auf welchem Wege, doch habe ich Bill im Verdacht, der mir aus Sorge um seine Zukunft wohl nicht gehorcht und ihm mithilfe des Bootseigners oder der Waschfrau ein Briefchen gesendet hatte. Der Gouverneur teilt mir mit, er habe nicht die Absicht, ihn im dichten Busch um Sydney einfangen zu lassen. Kühl – oder war es humorvoll gemeint? – wies er mich darauf hin, dass dieser französische Untertan weder Papiere noch die Bewilligung für einen Aufenthalt in der Kolonie besitze, und dass sein Verstoß keine Jagd auf den Mann rechtfertige. Narcisse, einst aus dem Nichts aufgetaucht, ist in dieses zurückgekehrt, und der Fall damit erledigt.
    Im Augenblick bin ich betrübt und zugleich über meine Betrübtheit bestürzt. Der Reiter hat mich nach Anweisungen gefragt, und ich habe ihn zum Lager der Soldaten vor dem Eingang des Anwesens geschickt. Er soll dort übernachten, meine Antwort geht erst morgen aus. Von Narcisse bleiben mir nichts als meine Skizzen von seiner Körperbemalung. Ich muss nachdenken.
    Ich beende diesen Brief nun, Monsieur le Président, und überlasse es Ihnen, welche Schlüsse Sie daraus ziehen. War die Aufgabe, die ich bereitwillig annahm, zu groß für mich? Wäre sie für jedermann zu groß gewesen? War die Art und Weise, mit der ich mich Narcisse’ annahm und ihn umerzog, nicht richtig? Und was war daran falsch? Was hätte ich tun sollen, was habe ich versäumt? Was hat seine Gleichgültigkeit gegenüber unserer Lebensweise zu bedeuten?
    Das Experiment ist gescheitert, die Gründe spielen am Ende keine Rolle. Narcisse hat entschieden. Ich werde nach Frankreich zurückkehren und unterwegs einen Artikel über dieses Abenteuer verfassen, den ich dem Journal unserer Gelehrtengesellschaft zur Veröffentlichung anbiete. Ich bitte Sie inständig, nicht zu streng über meine Arbeit zu urteilen, vor allem nicht über meine Bemühungen. Sie haben den bitteren Nachgeschmack des Scheiterns.
    Hochachtungsvoll …
    Post Scriptum
. Ich schreibe dies am frühen Morgen, Narcisse ist zurück. Er hatte keine Ahnung von dem Aufruhr, den sein Verschwinden verursacht hatte, und präsentierte stolz eine Art von großem Fuchs, den er am Schwanz in die Höhe hielt.
    Mein erster Impuls war, ihn gründlich zu tadeln. Doch bin ich nicht die Polizei und auch kein Schulaufseher, ich kann ihm schlecht Vorhaltungen machen – und ihm wären ohnehin die Worte fremd, mit denen ich es ihm begreiflich machen wollte. Er würde nur meine Verärgerung bemerken, ohne ihre Ursache zu begreifen.
    Wieder bekleidet, kauert Narcisse jetzt auf den Fersen und betrachtet sein Stück Wild, das in einer Feuergrube gart; er hat sie in der Nähe des Ufers ausgehoben und mit flachen Steinen bedeckt. Heute Abend wird er nicht mit Bill essen. Der ist verärgert und belästigt mich mit seinem Geschwätz, er werde das Fleisch dieses Tieres – seiner Meinung nach halb Katze, halb Iltis – auf keinen Fall anrühren.
    Wir bilden eine merkwürdige Familie. Nun ist sie wieder vereint.

4
    Der Tag verlief langsam. Nach der Attacke und der Verstümmelung seines Ohrs scherten sich die Wilden nicht mehr um ihn.
    Den Vormittag verbrachte er leidend auf der anderen Seite des Tümpels – dieser war zwar kein wirklicher Schutz, aber wenigstens konnte er darauf hoffen, sie von hier aus rechtzeitig kommen zu sehen. Seine Nacktheit machte ihm nicht mehr so viel aus. Er saß auf dem roten, schlammigen Boden und rieb gedankenlos mit der linken Hand über die Stelle zwischen Schläfe und Nacken, die Massage linderte ein wenig den Schmerz. Die von der Alten aufgetragene Paste hatte immerhin das Blut gestillt.
    Als der Hunger wieder einsetzte, ging er – die rechte Hand weiterhin vor sein Geschlecht und die linke an sein Ohr gelegt – zur erloschenen Feuerstelle zurück und machte den Ameisen die Knochen streitig, an denen noch einige winzige

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