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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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hören: «Wenn du es bis hierher geschafft hast, kannst du auch arbeiten.» In der Hängematte zu bleiben und seinen Besuch abzuwarten war kaum besser: Er hatte einmal mitbekommen, wie der Steuermann einen Alten aus der Matte warf und ihn zum Arbeiten zwang … Der Steuermann akzeptierte Verletzte, aber keine Kranken. Und wenn er einmal zufällig mit ein oder zwei Tagen Ruhepause einverstanden war – unter Androhung, diese von der Heuer abzuziehen –, standen lediglich ein paar wenige Heilmittel zur Verfügung, eine kleine Reihe von Pulvern, aus denen er offensichtlich rein nach Gefühl wählte, um irgendwelche scheußlichen Mixturen anzurühren. Er fiel in einen unruhigen Schlaf und hoffte, im Zwischendeck aufzuwachen …
    Nach seiner Schätzung kam die Alte irgendwann am Vormittag zu ihm. Kümmerte sich also doch jemand um ihn? Mit sparsamen und genauen Handbewegungen trug sie erneut Paste auf seinem Ohr auf. Dann bewegte sie ihre Hände, die Handflächen nach unten unddie Finger gespreizt, in knapper Entfernung über seinen Körper, und zwar vom Kopf bis zu den Füßen, und murmelte etwas dabei. Dann nahm sie eine Handvoll sandiger Erde und ließ diese zwischen ihren Fingern überall auf ihn herabrieseln. Das tat sie mehrmals, bis seine schweißglänzende Haut von einer dünnen Staubschicht bedeckt war.
    Er ließ sie gleichgültig gewähren, mit halb geschlossenen Augen und gegen die Fieberschübe ankämpfend, die in seinen Schläfen pochten.
    Sie führte den Wasserschlauch an seine Lippen, und er zwang sich zu trinken. Nachdem sie weitere Zweige über seinen Oberkörper und seine Beine gelegt hatte, ging sie fort.
    Er schlief wieder ein. Die Erde, die ihn umhüllte, half ein wenig gegen das Frösteln.
    Die Alte saß wieder neben ihm und war dabei, in aller Ruhe aus Blättern eine Art Käfig oder Schirm zu flechten. Als sie damit zufrieden war, legte sie es wie ein kleines Zelt, das ihn nirgendwo berührte, über seinen Kopf. Ihm gefiel, dass er auf diese Art vor der Sonne geschützt war.
    Sie hatte Glut gebracht, entzündete einen Zweig, schwang ihn über dem Kranken hin und her und summte dabei leise. Als das Feuer erloschen war und nur noch dicker grauer Rauch aufstieg, legte sie den Zweig auf Höhe seiner Schulter ab. Der Rauch wurde durch die Brise von außen in sein geflochtenes Zelt geweht und staute sich dort. Ihm blieb nichts anderes übrig, als diesen heißen, beißenden, bitteren, erstickenden Qualm einzuatmen. Seine Augen tränten, er begann zu husten, schob die Rauchfalle beiseite und schlief wieder ein.
    Die Alte schob das Ding hartnäckig wieder zurück und kam mit dem Zweig näher. Verbranntes Holz und Blätterwerk einzuatmen und die Hitze auf seinen Wangen und in der Nase zu spüren – würde ihn das wirklich heilen? Er zwang sich, alles hinzunehmen und das Heilmittel in sich eindringen zu lassen.
    Als sie wiederkam, gab sie ihm einige kleine Fleischstücke zuessen und ließ ihn aus dem Schlauch trinken. Sie wiederholte die Rauchbehandlung. Es folgten keine weiteren. Er versuchte aufzustehen, aber Schwindel und Schüttelfrost vereitelten seinen Plan. Das hohe Fieber hinderte ihn am Nachdenken. Er erinnerte sich vage, dass er wichtige Entscheidungen treffen wollte, doch Momente geistiger Klarheit gingen in dem Gefühl unter, alles loszulassen, sich in seine Decke aus Blättern und Staub zu vergraben und auf Fieberwogen dahinzudämmern.
    Die Alte gab ihm zu trinken. Sie pflegte sein Ohr. Rauch drang ihm in die Nase. Sein Schüttelfrost ließ nach. Er schlief wieder ein.
    Mit der für die Tropen üblichen Abruptheit, die ihn immer wieder irritierte, brach die Nacht an. Die Alte kam und brachte ihm Fleisch, die anderen Stammesmitglieder teilten sich an diesem Abend offenbar gegrilltes Wild. Mühevoll brachte er zwei oder drei dieser nach verbranntem Fett stinkenden Stücke herunter. Dann trank er noch einmal und legte sich mit geschlossenen Augen nieder.
    Narcisse war fünf Tage lang krank, und während dieser fünf Tage brachte ihm die Alte zu essen, zu trinken, pflegte seine Verletzung, deckte ihn mit Erde und Blättern zu und räucherte ihn ein. Er nahm vage wahr, dass er immer schwächer wurde. Würde er so seine letzten Tage zubringen, wie ein Hund auf dem nackten Boden, inmitten dieser Wilden, die seinen Leichnam den Aasfressern überlassen würden …
    Am vierten Tag kam ein Wind auf, der noch stärker und unnachgiebiger war als in jener ersten Nacht, in der man ihn zurückgelassen hatte.

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