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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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verlaufen würde, kehrte er geläutert zur Runden Bucht und zum Lagerplatz zurück.
    Dort saß die Alte, neben sich die gefüllten Wassersäcke. Sie schien seine Ankunft nicht zu bemerken.
    Dreimal folgte er ihr, jedes Mal mit einer anderen Strategie, und jedes Mal verlor er sie aus den Augen.
    Doch die beiden Tage, versuchte er, sich einzureden, waren nicht umsonst gewesen. Er hatte begriffen, wie weit das Wasser entfernt war und dass die Alte ihm die Quellen aus irgendeinem Grund nicht zeigen wollte.
    Am Abend sammelte er in der Runden Bucht zusammen mit Waiakh, der ihm nicht mehr von der Seite wich, Muscheln und aß einige davon roh, noch ehe die jungen Leute ein Feuer entzündet hatten. In einer der Muscheln befand sich eine weiße, nicht ganz runde Perle. Nachdem er sie abgewaschen hatte, besah er sie sich mit gemischten Gefühlen. Sie war nicht besonders wertvoll, aber ausreichend weiß, groß und wohlgeformt, und man hätte sie in allen Häfen dieser Welt gegen ein paar Münzen eintauschen können. Zwei Monate zuvor hätte er sich über dieses unverhoffte Zubrot gefreut, die Perle in seiner Tasche versteckt und den nächsten Landgang abgewartet. Aber hier … Er hatte keine Taschen, denn er war nackt, und weit und breit keine Spur von einem Händler. Selbst die schönste Perle oder selbst der größte Goldklumpen waren nichts wert. Kein Wilder hätte dafür ein Stück Fleisch gegeben, keine der Frauen hätte daraus ein Schmuckstück gefertigt. Die Perle war nichts als eine Wucherung in der Muschel oder ein Spielzeug für Waiakh. Trotzig warf er sie weit fort in den Sand.
    Fünf Minuten später rannte er wie ein Verrückter los und suchte sie eifrig. Er hatte Glück und fand sie, halb von Sand bedeckt. Die Perle fortzuwerfen hätte bedeutet, jede Hoffnung aufzugeben. Er würde gerettet werden, er würde sie und noch weitere mit auf seine Reise nehmen. In den Muscheln dieser Bucht gab es noch weitere Perlen, er musste sie finden und an einem sicheren Ort aufbewahren. Er stellte sich vor, wie er in jeder Bucht eine Perlensammlung anlegte, damit er niemals mit leeren Händen aufbrechen müsste, egal, woseine Retter eintreffen würden. Und selbst wenn er sich zu Fuß oder übers Meer davonmachte, würde er sie nicht zurücklassen, denn Perlen wogen so gut wie nichts.
    Mitten auf dem Strand der Runden Bucht war ein relativ großer Felsbrocken, der an eine kleine Kapelle erinnerte. Er nahm ihn von allen Seiten in Augenschein und entdeckte auf der meerabgewandten Seite ein Loch, in das seine Faust hineinpasste. Er legte es mit Kieseln und trockenem Gras aus und die Perle hinein. Das sollte sein Tresor sein. Waiakh machte es ihm nach und legte mit ernster Miene einige Steinchen in eine Öffnung, die sich auf seiner Augenhöhe befand.
    Eine Perle … ein Perlencollier? Er stellte sich vor, wie sich in seinem Versteck dreißig oder vierzig identische makellose Perlen befanden, die nur darauf warteten, den Hals einer Prinzessin zu schmücken … Aber das war unmöglich. Wie viele Muscheln musste er dafür finden? Wie viele Tage in der Runden Bucht ausharren? Die Perlen würden wie der Sand in einem Stundenglas vom unendlich langsamen Vergehen der Zeit künden …
    Nein, es bliebe bei dieser einen, denn in wenigen Tagen würde die Saint-Paul auftauchen. Er würde mit seiner Perle an Bord gehen und sie nicht verkaufen. In China oder in Aden würde er sie in Silber fassen lassen und mit einer Lederschnur versehen, und dieses Schmuckstück würde er dann seiner Schwester schenken. In seinem Schiffskoffer hatte er unter seinen Kleidungsstücken ein violettes glänzendes Stück Stoff mit Goldfäden versteckt, das er in Kapstadt von einem indischen Händler erworben hatte. Wie hübsch würde sie mit diesem Umhängetuch und dem Perlenanhänger aussehen, und wie stolz würde er auf sie sein! Sie würde von Verehrern umschwärmt werden, und eines Tages würde sie einem jungen Mann, der es ernst meinte, ihr Jawort geben und für den Rest ihres Lebens glücklich umschwärmt werden. Am Hals eine Perle, deren Geschichte niemand kannte.
    Der Stoff war auf der Saint-Paul, und er selbst war hier an diesem Strand. Wenn ein Matrose auf See stirbt, dann teilen die Kameraden seinen bescheidenen Besitz unter sich auf. Hatten sie seinen Schiffskoffer bereits geöffnet und seine Seekleidung, Mütze und Schuhe, seinen Kamm, seinen Trinkbecher aus Zinn, seinen Rasierer auf den Planken ausgebreitet? Hatten sie sich ausgesucht, was ihnen gefiel, die

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