Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman
Erzählungen über die Feldzüge unter Napoleon dessen Lust am Reisen geweckt, war mittlerweile jedochverstorben. Die Taufpatin, eine alte, mit Bändern geschmückte Dame, saß allein bei den Pelletiers.
In seiner Predigt griff der Pfarrer die Parabel von der Rückkehr des verlorenen Sohnes auf – die ich auch selbst bereits zu Hilfe genommen habe – und erklärte, weshalb Narcisse nicht mit diesem zu vergleichen sei. Aus Ungezogenheit habe der verlorene Sohn sein Erbe gefordert, es dann aber nur verschleudert und sich erst, als nichts mehr übrig war, zurückbegeben, um vor seinem Vater auf die Knie zu fallen, der ihm trotz allem vergab und ein fettes Kalb schlachtete. Denn Gottes Gnade sei größer als unsere Sünden. Narcisse hingegen sei mutig ausgezogen, um sich als Matrose sein Brot zu verdienen, Stürme zu bestehen und die Trennung von den Seinen zu ertragen. Gott habe ihm mit achtzehn Jahren Exil unter furchtbaren Wilden eine schwere Prüfung auferlegt. Er habe niemals den Mut verloren und sein Schicksal in die Hände Gottes gelegt. Obgleich er Vaterunser und Glaubensbekenntnis vergessen habe – und wer wolle ihm das verdenken? –, habe er doch in jeder Hinsicht sein Kreuz getragen. Und Gott habe sein Kind nicht vergessen, das am anderen Ende der Welt verloren gegangen war. Er habe ihm seine rettende Hand entgegengestreckt und es zu den Seinen zurückgeleitet, und so habe er heute in die Kirche zurückgefunden, in der er einst getauft worden war.
Mir ist nicht ganz klar, aus welcher Quelle der Pfarrer seine theologischen Überlegungen bezog. Es hatte zwei lange vertrauliche Unterhaltungen zwischen ihm und Narcisse gegeben, und ich hatte nicht gewagt, dem Pfarrer zu sagen, dass Narcisse wahrscheinlich keine Vorstellung davon hat, was ein Pfarrer ist. Er versteht es – ohne böse Absicht und ohne es zu wollen –, jedem das zu sein, was er von ihm erwartet. Es mag sein, dass er dem Pfarrer genau das gesagt hatte, was jener von ihm hören wollte.
An die Messe schloss sich ein Festmahl unter freiem Himmel an, an dem das halbe Dorf teilnahm. Narcisse vermittelte fortwährend den Eindruck, anwesend und zugleich abwesend zu sein.
Es kamen drei Freunde aus seiner Kindheit heran, die ihn beglückwünschten, seine Tätowierungen bewunderten und ihn daran erinnerten, dass sie einst ein Quartett von bösen Buben gewesen waren, die dreist Äpfel gestohlen und Drosseln gejagt hatten. Doch wer waren für ihn dieser Julien, Mathieu oder Pierre, die nunmehr verheiratet und in die Fußstapfen ihrer Väter getreten waren? Er stieß manch einen vor den Kopf, weil er den Wein nicht anrührte, den man ihm unaufhörlich anbot.
Als das Mahl beendet war, begleiteten alle Bewohner Narcisse zu den Klängen einer Violine und einer Klarinette zu seinem Elternhaus.
Der weitere Nachmittag war diplomatischen Manövern zwischen Vater Pelletier, dem Pfarrer, dem Bürgermeister und meiner Wenigkeit gewidmet. Unter vier Augen oder zu dritt, in vorher arrangierten Begegnungen oder solchen, die weise der Zufall herbeiführte, besprachen wir, was aus Narcisse werden solle. Eine allgemeine Konferenz, die nach dem Abendessen und am Tisch des Pfarrers stattfand, bildete den Höhepunkt dieser Unterhaltungen. Ich war zunächst geschmeichelt, dass ich, der ich keinerlei Berechtigung hatte, mich einzumischen, ebenfalls eingeladen war. Der Auftrag, den mir der Gouverneur von New South Wales nicht zuletzt als Pflicht übertragen hat, war nunmehr erfüllt oder würde es zumindest, nach Narcisse’ Vorstellung bei Ihnen in Paris, sein.
Diese Sicht auf die Dinge, gab man mir in vorsichtigen Formulierungen, mit Ausflüchten, auf Umwegen, unter Zuhilfenahme von Sprichwörtern und Anspielungen zu verstehen, sei möglicherweise weiterer Betrachtung würdig. Ich bin zu sehr mit meinen Bauern aus dem Isère vertraut, um nicht eine Umständlichkeit wiederzuerkennen, gegen die man nicht ankommt. In der Tat, welches Leben erwartet Narcisse in Saint-Gilles? In seinem Elternhaus ist buchstäblich kein Platz mehr für ihn. Natürlich würde es immer für einen TellerSuppe und einen Schlafplatz in der Scheune reichen. Doch wovon sollte er leben? Die Schusterwerkstatt ernährt gerade den Vater und den Ältesten, die außerdem noch einige Fleckchen Land bewirtschaften und eine Kuh und einige Schafe haben. Narcisse weiß nicht mehr, wie man mit einer Ahle umgeht, ebenso wenig kann er melken, scheren, hacken, graben oder Weinreben schneiden. Wer würde die Zeit
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