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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Alten zuerst? Und hatte einer von ihnen das Seidenpapier zurückgeschlagen und seinen Erwerb aus Kapstadt bewundernden Blicken preisgegeben, und wer von ihnen hatte sich den violetten Stoff unter den Nagel gerissen?
    Siebter Brief
    Saint-Gilles-sur-Vie, 16. August 1861
    Monsieur le Président,
    bei meiner Ankunft in Paris fand ich Ihre Nachricht vor, in der Sie mir mitteilen, dass Sie sich wegen Familienangelegenheiten für etwa zehn Tage in die Provinz begeben müssten. Ich hoffe, dass Sie alles zu Ihrer Zufriedenheit regeln konnten. Narcisse und ich waren enttäuscht über diese Verzögerung, aber nach fünf Monaten können wir uns auch noch ein wenig länger gedulden.
    Ein anderer Brief, diesmal aus Saint-Gilles, teilte uns mit, dass wir vom ganzen Städtchen ungeduldig erwartet würden. Der Bürgermeister, bestärkt durch meine Erläuterungen, hatte der Familie die frohe Nachricht überbracht. Daraufhin beschloss ich, unser Reiseprogramm umzustellen und Narcisse zuerst zu den Seinen zu bringen.
    Doch zuvor will ich Ihnen von unserer Rückreise aus London erzählen. Narcisse blieb fast den ganzen Tag über niedergeschlagen und weinte. Während der Zugfahrt durch die englische Provinz herrschte zwischen uns ununterbrochenes, für mich unerträgliches Schweigen. In Dover regnete es, und auf dem Ärmelkanal herrschte Seegang. Trotzdem wollte Narcisse während der Überfahrt draußen auf dem Hinterdeck bleiben, und ich blieb an seiner Seite, das war ich ihm schuldig. Einen Augenblick lang befürchtete ich gar, dass er diesen Ort gewählt hatte, um sich in die Fluten zu stürzen und dort die ewige Ruhe zu finden. Diese Befürchtung bedeutete nichts anderes, als dass ich davon ausging, dass sein Leben an meiner Seite schlimmer war als alles, was ihm in Australien widerfahren war. Und wenn er sich tatsächlich zum Selbstmord entschlossen hatte? Mit welchem Recht konnte ich ihn davon abhalten? Narcisse ist so frei wie Sokrates und muss, wenn er möchte, den Schierlingsbecher leeren dürfen. Ich habe nur den Wunsch, dass er, sobald er sich wieder in unserer Zivilisation eingefunden hat, etwas Lebenswertes daran erkennt. Von Regengüssen und Sturzwellen durchgeschüttelt und völlig durchnässt, erreichten wir endlich Calais; die dunklen Gedanken hatten wir hinter uns gelassen und waren wieder etwas froher gestimmt. Ich habe schon oft festgestellt, wie sehr der Kontakt mit der Natur und den Elementen seine Seelenqualen ausgleicht. Eine Wiese, ein Ufer, ein Park, eine Flussmündung und insbesondere das Meer wirken auf ihn beruhigend und entspannend.
    Die wiederhergestellte Ruhe war in Calais bitter nötig. Ein überheblicher und misstrauischer Polizeiinspektor wollte partout seinen rechtlichen Status klären, und zwar von Grund auf. Nachdem er das Schreiben des Kolonialrichters aus Sydney verächtlich und ohne es zu lesen, beiseitegeschoben hatte – ein englischer Richter kann nicht den rechtlichen Status eines Franzosen festlegen –, trumpfte er mit der Feststellung auf, dass der Matrose entgegen der Einschiffungsregeln sein Seefahrtbuch nicht vorzeigen konnte, was eine Übertretungdritten Grades darstellte. Und überhaupt, war dieser Verdächtige in seinen tropfenden Kleidern überhaupt jener Pelletier und nicht irgendein Betrüger? Ich erläuterte, anfangs noch freundlich, dann mit wachsendem Nachdruck, dass Narcisse, nachdem er als Überlebender eines Schiffbruchs an einer feindseligen Küste gestrandet und achtzehn Jahre lang unter Wilden gelebt hatte, andere Sorgen hatte als seinen rechtlichen Status. Was das hoch geschätzte Seefahrtbuch angehe, so sei es längst von den Fischen gefressen worden. Doch wo, triumphierte dieser Rüpel, befand sich dann die Bestätigung des Konsuls, dass das Schiff gekentert war? Und was fiel mir überhaupt ein, anstelle des Matrosen Pelletier zu antworten oder dessen, der sich für ihn ausgab. Ich sollte mich aus der Angelegenheit, die mich ganz und gar nichts angehe, heraushalten, und der Verdächtige solle ihm auf die Polizeistation folgen und dort verbleiben, bis seine Identität geklärt war. Zum Teufel noch mal, die Sicherheitsbehörden des Kaiserreichs konnten doch nicht aufgrund irgendeiner lächerlichen und durchsichtigen Geschichte jeden hereinlassen …
    Matrose Pelletier blieb stumm und folgte dem Wortwechsel mit weit aufgerissenen Augen – und ich hoffte, dass er nicht alles verstand, auch wenn ich dies eher bezweifelte. Es wurde lauter, der Inspekteur fuhr

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