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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Hass, dass es mir die Sprache verschlug. Einen Augenblick lang glaubte ich gar, er würde mir einen Schlag versetzen. Ich hatte ihn noch niemals stumm vor Wut gesehen, sie richtete sich unerklärlicherweise gegen mich, und er konnte kaum an sich halten. Er wandte sich ab, so, als sei ihm mein Anblick unerträglich, oder als gebe es zur körperlichen Gewalt nur diese eine Alternative. Ich verharrte reglos und stumm. Ich begriff nicht, was passierte und welcher Teil meiner Rede ihn derart in Rage versetzt hatte.
    Dann vergrub er sein Gesicht in den Händen und brach in lautloses Schluchzen und Weinen aus. Seine Tränen, für die ich, ohne es zu wollen, Auslöser gewesen war, schmerzten mich mehr, als es die Schläge getan hätten, von denen er sich zurückgehalten hatte. Was konnte ich sagen, was seine Verzweiflung nicht noch steigern würde? Ich wartete ab.
    Nach einer Weile, die mir endlos erschien, trat der Portier an uns heran, um mitzuteilen, dass die Pferdedroschke, die uns zum Bahnhof bringen sollte, bereitstehe. Als er uns so sah – Narcisse in Tränen aufgelöst und ich mit düsterer Miene –, musste er denken, dass wir gerade vom Tod eines geliebten Menschen erfahren hatten. Und in der Tat trauerten wir um eine australische Wilde, von der ich nichts wusste, weder über ihr Leben noch über ihren Tod.
    Warum nur spricht Narcisse niemals über seinen Aufenthalt dort unten?
    Hochachtungsvoll …

7
    Wo fand die Alte Wasser?
    Weder in der Runden Bucht noch in der Nordbucht gab es ein Bächlein, und trotzdem kehrte sie stets mit gefüllten Wassersäcken zum Lagerplatz zurück. Als er zusammen mit dem Stamm durch die trockene Buschebene gewandert war, hatte er außer dem Tümpel keine andere Wasserstelle bemerkt. Das Wasser aus den Säcken war leicht schlammig und ließ im Mund einen Geschmack nach Erde und Feuerstein zurück, der die Schleimhäute zusammenzog. Grub sie mit ihren Händen, einem Stein oder mit einem Stock, um an Wasser zu gelangen? Wasser war der Schlüssel zu allem, und er musste ihn der Alten entreißen.
    Zwei Tage lang ließ er sie nicht aus den Augen. Sie begab sich gut zehnmal am Tag in den Busch. Wenn sie nur für kurze Zeit fort war, kehrte sie mit Kräutern, Wurzelknollen oder einer Echse zurück. Wenn sie sich mit zwei leeren Wassersäcken auf den Weg machte, blieb sie für mehr als eine Stunde weg.
    Es interessierte ihn im Grunde wenig, wo man im Umkreis der Runden Bucht innerhalb einer halben Stunde Wasser finden konnte. Wichtig war die Erkenntnis, dass es auch in annehmbarer Entfernung von der Küste welches gab. Jetzt musste er nur noch lernen, wie man es in dieser eintönigen Landschaft fand.
    Als er sah, wie die Alte die leeren Wassersäcke aufnahm, folgte er ihr in einigen Schritten Abstand. Sie schien ihn nicht zu bemerken. Sie liefen eine gute Viertelstunde lang zwischen Bäumen geradeaus, die alle gleich aussahen. Dann ließ sich die Alte auf der Erde nieder. Er tat in zehn Metern Entfernung dasselbe und wartete darauf, dass sie weitergehen würde. Im silberfarbenen Halbschatten des Buschwerks ließ er sie nicht aus den Augen.
    Auf der Saint-Paul war das Wasser in Fässern schlecht und somit knapp geworden, deshalb hatten sie Australien umsegelt, deshalb seine missliche Lage. Auf Java, von wo sie mittlerweile längst aufgebrochen sein dürften, um ihn abzuholen, hatten sich seine Kameraden wahrscheinlich mit schlechtem Wein, holländischem Bier, Kokosmilch und Fruchtsäften in unterschiedlichsten Farben volllaufen lassen, wie er sie auf den Märkten von Kapstadt und das Jahr zuvor in Ceylon gesehen hatte. Doch brachten ihn nicht unterschiedliche Gaumenreize zum Träumen, sondern der reine unverfälschte Genuss von Wasser. In seinem Elternhaus lieferte der Brunnen das ganze Jahr über Wasser. Eimer, Seil, oben die Rolle, über die das Seil lief … ein friedliches Bild, auf dem er sich als Junge sah, der er damals war und der seiner Mutter stolz einige Liter für die Küche und das Geschirr hereintrug.
    Einen Augenblick später wurde ihm klar: Die Alte war verschwunden. Er musste einige Sekunden unaufmerksam gewesen sein, und sie hatte sich aus dem Staub gemacht. Weit konnte sie nicht sein. Er sprang auf und rannte auf gut Glück in alle Richtungen. Obwohl er schimpfte und fluchte und in seinem Wuteifer nichts unversucht ließ, fand er weder sie noch die geringste Spur von Wasser. Nachdem er vergebens herumgeirrt war und begriff, dass er sich mit seinem Hin und Her am Ende noch

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