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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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zurückzusegeln. Oder vielleicht wären Winde und Meeresströmungen sehr stark gewesen, und sie wären noch weiter nach Süden abgetrieben, zu jenen baumlosen Inseln, über die man nur flüsternd spricht und auf denen riesige Vögel brüten, zu jenen Basaltklippen, wo die Wasserfälle die bleierne Farbe des Himmels haben. Mühsam hätten sie das angeschlagene Schiff in irgendeinen auf keiner Karte verzeichneten Hafen manövriert, aus den Trümmern der Saint-Paul provisorische Unterkünfte gebaut, mithilfe des letzten Proviants und der Jagd auf Hundsrobben überlebt, und seine Rolle als Saboteur wäre unbemerkt geblieben … Die dreißig Leute hätten mithilfe des Werkzeugs und allem, was sie von demSchiff noch hatten retten können, harte Monate überlebt, sie hätten sich aneinandergedrängt, um der Kälte zu widerstehen, und die mageren Vorräte eingeteilt. Im Frühling kommen viele amerikanische Wal- und Robbenfänger in die Südmeere. Einer von ihnen hätte sie auf der Suche nach neuen Jagdgründen zufällig entdeckt und gerettet. Sie hätten sechs oder mehr Monate wie Zwangsarbeiter geschuftet, um die Mitfahrt auf dem Schiff abzuarbeiten, und wären dann wohlbehalten in Rhode Island oder Connecticut an Land gegangen. Sabotage auf der Saint-Paul wäre das Richtige gewesen …
    Sein Vater hatte recht gehabt: An Bord hatte er nichts zu lachen gehabt.
    Das waren die Gedanken von Narcisse an jenem Spätnachmittag, nachdem er sich mit Waiakh damit vergnügt hatte, Steine zu werfen.
    Achter Brief
    Paris, 3. September 1861
    Monsieur le Président,
    ich verfasse diesen Brief an Sie mit gemischten Gefühlen.
    Was war es indes für ein Vergnügen, von Ihnen in Ihrem Büro mit warmen Worten empfangen zu werden und die Komplimente zu vernehmen, die Sie mir immer wieder machten … Welche Freude, Ihnen endlich Narcisse Pelletier vorzustellen und Ihnen zuzuhören, wie Sie mit der Ihnen eigenen Schärfe, was Wahrnehmung und Erfahrung angeht, mit ihm sprachen und ihn befragten …
    Unter Umständen erschienen wir Ihnen ein wenig zurückhaltend,und ich muss gestehen, dass wir beide sehr schüchtern sind: Bei Narcisse ist es seine Natur; und mir war bewusst, von wem ich die Ehre hatte, empfangen zu werden. Ich fürchtete Ihr Urteil wie ein Schüler das seines Lehrmeisters. Im Verlauf der langen Unterhaltung, die Sie mir gewährten, habe ich, glaube ich, diese übermäßige Zurückhaltung nach und nach abgelegt.
    Die Hauptschwierigkeit haben nunmehr auch Sie erfahren. Wie bringt man ihn dazu, den Stamm von Wilden, bei dem er achtzehn Jahre lang gelebt hat, zu beschreiben? Auf direkte Fragen antwortet er nicht, und es bleibt mir unbegreiflich: Er kann doch nicht alles aus dieser Welt vergessen haben, die er vor erst einem halben Jahr verlassen hat! Entweder er will nicht, oder er ist nicht in der Lage dazu. Fehlen ihm die rechten Worte? Doch vom Jagen oder Heiraten, von Mahlzeiten oder Festen oder vom Alltag zu erzählen erfordert keinen schwierigen Wortschatz. Ich glaube vielmehr, dass ein komplexes Gefühl, das tief in seinem Innersten vergraben ist, es ihm nicht erlaubt, darüber zu sprechen, den Grund dafür kenne ich nicht. Ich habe bemerkt, dass ihm manchmal, unter dem Einfluss einer starken Gefühlsregung, einige wertvolle Informationen entfahren, doch geschieht das sozusagen gegen seinen Willen. Ich schreibe jede seiner Offenbarungen auf und versuche, ihnen Sinn zu geben. Wird diese mühsame Arbeit eines Tages wissenschaftliche Form annehmen? Es ist zu früh, das zu entscheiden.
    Sie haben mich zu den Niederschriften beglückwünscht, die ich vom ersten Tag an führe. Diese nach Ihren Worten hoch lobenswerte Arbeit ist für mich die beste Garantie, dass ich nichts frei erfinde. Wie groß wäre in der Tat die Versuchung, das Leben dieses Unglücklichen in einen Roman zu verwandeln oder daraus ein Libretto für eine Komische Oper zu machen …
    Der Höhepunkt unserer Begegnung war die Vollversammlung der Société de Géographie drei Tage später. Ich muss mir den Vorwurf machen, nicht ausreichend vorbereitet gewesen zu sein. Da ich auf den hinteren Rängen für korrespondierende Mitglieder bereits einigen großen Versammlungen samt den anschließenden Gelehrtendiskussionen beigewohnt und ein-, zweimal sogar gewagt hatte, eine Frage zu stellen, glaubte ich, mit der Zeremonie, ihren Hohepriestern und Riten vertraut zu sein. Ich wusste überdies, dass unter Ihrem weisen Vorsitz Debatten auf hohem Niveau stattfinden würden.

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