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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Die Anwesenheit von Narcisse würde das Publikum vermutlich überraschen, vielleicht auch enttäuschen, und er selbst würde von der feierlichen Atmosphäre des Amphitheaters beeindruckt sein. Doch ist mir sein äußerst verschlossener Charakter nur zu vertraut, und so fürchtete ich lediglich, dass er sich in tiefes Schweigen hüllen würde. Wir hatten beide Fragen vorbereitet und gehofft, dass er sie beantworten würde, sicherlich in aller Kürze, doch ausführlich genug, um seiner Geschichte Gewicht zu geben. Kurzum erhoffte ich, nicht ohne Naivität, dass ich nicht mehr zu tun haben würde, als die Tribüne zu besteigen, von dem Abenteuer zu berichten und, nach einigem Applaus, Fragen von beeindruckten Bewunderern zu beantworten.
    Während unserer Unterredung hatten Sie die Wende, welche die Versammlung nehmen würde, nicht vorausgeahnt, nehme ich an, und so bestätigten Sie mich in meinen Illusionen. Gemeinsam entschieden wir darüber, welche Kleidung Narcisse tragen würde, auf welche Art und Weise man ihm das Wort erteilen oder ihm Hilfestellung geben sollte, welche Karten man an den Wänden aufhängen und wie lange meine Eingangsrede dauern sollte. Sie gaben mir zu verstehen, dass die Einmaligkeit dieses Abenteuers sicherlich unzählige Mitglieder der besseren Gesellschaft anlocken würde, ebenso bedeutende Journalisten, und wir waren beide erfreut darüber, auf diese Weise gemeinsam eine neue Seite in den Annalen der Société aufzuschlagen und zu füllen.
    In ganz Paris ging das Gerücht von der Anwesenheit des weißen Wilden um und erreichte auch die Zeitungen. Es gelang ihnen nicht, mit mir Kontakt aufzunehmen – oder versuchten sie es nicht? Es machte ihnen weniger Mühe, den Unsinn aus dem Daily Mirror zu übersetzen. In den Salons war von nichts anderem mehr die Rede, und was ich von diesem Klatsch mitbekam, hätte jeden Entdecker zum Menschenfeind werden lassen. Als wir gestern Nachmittag an dem Sitz der Société eintrafen, hatte sich auf der Straße eine so große Menschenmenge versammelt, dass die Polizei Mühe hatte, sie in Schach zu halten. Die meisten der Schaulustigen hatten keine Eintrittskarte für die Versammlung und auch nicht das geringste Interesse an Geografie. Der Sekretär ließ uns über den Hintereingang ein und vertraute uns an, dass keine Versammlung der Société jemals eine derartige Resonanz gehabt hatte. Mir begann klar zu werden, dass mir diese Geschichte entglitten war. Was Narcisse anging, so machte er den Eindruck, sich gut zu unterhalten, warum, weiß ich nicht, auf jeden Fall ist das selten bei ihm. Man wies uns auf berühmte Persönlichkeiten unter der Zuhörerschaft hin, darunter der Erbprinz Charles d’Eisenach, Monsieur Rossini, Komponist, Messieurs Alexandre Dumas fils und Sainte-Beuve, beides Schriftsteller, sowie zahlreiche Damen der Gesellschaft, deren große Hüte ich bemerkte, deren Namen mir indes entfallen sind.
    Von dem scherzhaften Ton Ihrer Eingangsworte war ich ein wenig überrascht, Monsieur le Président. Sie haben uns an größere Ernsthaftigkeit gewöhnt. Angesichts eines so breiten und ungewöhnlichen Publikums, darunter eine beträchtliche Anzahl von Damen, beschlossen Sie, zu lächeln und auf diese Weise, grundlegenden Gesetzen der Rhetorik folgend, die Zuhörerschaft und deren Aufmerksamkeit für sich zu gewinnen. Sie stellten ihr Monsieur Pelletier vor, der am Fuß der Balustrade, dem Publikum zugewandt, in einem Sessel saß und an dessen Erscheinung und Kleidung nichts außergewöhnlich war. Vermutlich hatten sich einige vorgestellt, ihn mit demFederkopfschmuck der Indianer zu sehen oder mit einer Negermaske oder in Tierhäute gehüllt oder dass er brüllend und wie ein Menschenaffe herumsprang. Sein bescheidener Anstand war eine erste Lektion: Der Nachmittag würde der Wissenschaft gehören und keinem Jahrmarktsspektakel.
    Ich betrat die Rednertribüne wie ein Fastenprediger, der die Anhänger in ihrem Glauben stärken will. Vom Pult aus entdeckte ich, wie prächtig der Saal war, in dem das Publikum sogar in den Gängen stand, und ließ die anwesende Menschenmenge auf mich einwirken. Bis zu diesem Augenblick kam es mir so vor, als befände ich mich bei der Morgenvorstellung einer Burleske, doch bevor ich zu reden begann, stellte ich mir vor, wie ich vor einer Justizvollversammlung sprechen sollte, und damit machte ich mir ein wenig Mut. Ich dachte kurz an meinen Bruder Louis, der eines Tages unbedingt dem Stadtrat von Grenoble angehören

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