Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman
er mit den Händen über seinen kahlen Kopf und spürte Unebenheiten.
Er ließ sich neben Waiakh nieder und fasste, ohne zu überlegen, schweigend nach dessen Hand.
Beim roten Feuerschein lag die Hand des Kindes in der Hand des jungen Mannes. Sie blieben lange schweigend und reglos so sitzen, vielleicht hatten sie beide inneren Frieden gefunden. Dämmerlicht, und die schwarze Hand in der seinen.
Ihr folgender Tag gehörte ganz und gar dem Berg.
Zwölfter Brief
Vallombrun, 5. Dezember 1862
Monsieur le Président,
ich beanspruche noch einmal Ihre wertvolle Zeit mit meinem Zögling.
Wie vereinbart, schickt mir der Leiter des Leuchtturms Phare des Baleines an jedem Monatsersten einen kurzen Bericht zu Narcisse Pelletier. In wenigen Worten beschreibt dieser ausgezeichnete Mann dessen Verhalten. Gegen seine Arbeit als Lagerverwalter gibt es nichts einzuwenden: Er ist mehr als pflichtbewusst, er ist eifrig; mehr als mutig, er ist unermüdlich; er ist ausgeglichen und kameradschaftlich, und er wäre der ideale Arbeiter, wenn er die Fähigkeit, zu lesen und zu schreiben, wiedererlangt hätte.
Offenbar hat Narcisse sich ohne große Schwierigkeiten auf dieser Landzunge der Insel Ré eingelebt. Die Hauptsorge besteht darin,dass er immer noch nicht begriffen hat, was Eigentum bedeutet. Er gibt jedem Hut und Jacke, der sie brauchen kann, und nimmt sich, was er selbst benötigt. Dieses arglose Ausleihen ist etwas anderes als Stehlen, und seine Kameraden haben sich an sein wunderliches Verhalten gewöhnt. Jede Woche erhält Narcisse seinen Lohn, von dem sein Chef den für Kleidung und Heizen nötigen Betrag zurückhält. Die wenigen Münzen, die ihm bleiben, zerrinnen ihm zwischen den Händen: Er lässt sie beim Kolonialwarenhändler im Dorf für bunte Kleinigkeiten, Bonbons für die Kinder oder Tabak, nachdem er bemerkt hat, wie begierig seine Kameraden darauf sind.
Hat er bei den Frauen der Insel ebenso viel Erfolg wie in Paris oder in London? Der Leuchtturmleiter verliert darüber kein Wort, und es steht mir nicht zu, sein Schweigen zu deuten.
Im August 1862 kehrte ich nach Ré zurück und fand Narcisse, wenn vielleicht nicht glücklich – wie sollte ich das genau wissen? –, so doch zufrieden vor, und eins mit seinem neuen Schicksal. Er versteht sich mit den anderen fünf Verwaltern und steht unter der väterlichen Fürsorge des Leuchtturmleiters. Einst hatte ich ihn sonnenverbrannt und voller Muskeln und Sehnen zurückgelassen, dieses Mal bemerkte ich seinen rosigen Teint und die fülligen Wangen. Als ich ihn so aufgemuntert und gestärkt erlebte, bedurfte es, so dachte ich, keiner weiteren Fragen mehr.
Der Oktoberbericht beschrieb mir einen etwas bedrückten Narcisse, «wegen der Kinder». Die Formulierung überraschte mich, und es bedurfte mehrerer Briefe, bis ich begriff (der Leuchtturmleiter hielt mich für besser informiert, als ich es bin).
Einem der Verwalter widerfuhr das Unglück, seinen einzigen, dreijährigen Sohn zu verlieren. Während der Totenwache standen Narcisse und seine Kameraden ihrem Kollegen und dessen Ehefrau bei und wechselten die bei einem derartigen Anlass üblichen Worte. Der trauernde Vater fragte Narcisse, ohne nachzudenken, etwas wie:
«Und du, hast du Kinder?»
«Ja, zwei.»
«Zwei Jungen?»
«Einen Jungen und ein Mädchen.»
«Wie alt?»
Narcisse gab keine direkte Antwort, sondern zeigte, indem er andere Kinder, die am Leuchtturm leben, zu Hilfe nahm, dass der Junge ungefähr acht und das Mädchen fünf Jahre alt war. Dann legte sich die Stille der Totenwache über die kurze Unterhaltung, der in jenem Augenblick niemand Beachtung schenkte.
An den folgenden Tagen machte Narcisse einen bedrückten Eindruck, «wegen der Kinder».
Diese Nachricht traf mich wie ein Donnerschlag. Mir gegenüber hatte er sie niemals auch nur im Geringsten erwähnt. Sein Schweigen in Bezug auf seine Erlebnisse in Australien ist nach wie vor ungebrochen und unergründlich. Nur bei heftigen Gefühlsausbrüchen gelingt es ihm nicht mehr, die Geheimhaltung zu wahren, zu der er sich anscheinend verpflichtet hat. Die Bewunderung für Ihre Kaiserliche Majestät entlockte ihm einige Bekenntnisse. Und das Unglück seines Kollegen brachte ihn dazu, die eigenen Kinder zu erwähnen.
Wie hatte ich nur so blind sein können. In meinem Brief, den ich Ihnen am 2. August letzten Jahres aus London schickte, stellte ich einige Überlegungen zu den Unterlagen an, die Sie mir hatten zukommen lassen, und erwog die
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