Was mit Hass begann
stand. Ohne den Blick von ihr abzuwenden, stellte er einen Fuß zwischen ihre Beine auf die Querstange des Hockers, auf dem sie saß. Erst jetzt sah sie das Loch vorn in dem Stiefel. Es stammte von ihrer Kugel. Nur einen Zentimeter weiter rechts, und er hätte ein paar Zehen eingebüßt. Zuerst wirkte sie höflich schockiert. Doch das dauerte nicht lange. Gleich darauf steckte sie den Zeigefinger in das Loch, berührte seinen Zeh - die Kugel hatte das vordere Ende der Socke zerfetzt - und sagte: »Hänschen klein, ging allein ...«
Selbst als Kind hatte Kane nie ein Mädchen geschlagen. Einmal hatte ihm sein ältester Bruder Frank deshalb eine Predigt gehalten. Es war im ersten Schuljahr, da war er mit zwei blauen Augen nach Haus gekommen. Cindy Miller hatte ihn gehauen, und Kane hatte sich nicht gewehrt, sondern einfach dagestanden und sich von ihr schlagen lassen, bis die Lehrerin dazugekommen war und Cindy weggezerrt hatte. Die Lehrerin sagte, ihr sei nach diesem Vorfall unklar, ob aus Kane mal ein Dummkopf oder ein Held werden würde. Franks Urteil war eindeutig. Er sagte, Kane sei blöd wie Bohnenstroh.
Doch in diesem Augenblick hatte Kane den Wunsch, das Mädchen zu schlagen und zu würgen. Ehe ihm bewußt wurde, was er tat, ging er mit ausgestreckten Händen auf sie zu.
»Ach, da sind Sie ja«, sagte Ruth. In einem hübschen roten Seidenkleid kam sie die Treppe heruntergeschwebt.
Abrupt kam Kane zu sich. Er blieb stehen und sah, wie die kleine Kriminalromanschriftstellerin vom Hocker hüpfte und auf Ruth zurannte, als suchte sie Schutz bei ihr. Kane mußte sich abwenden. Er war entsetzt darüber, wozu er sich beinahe hätte hinreißen lassen.
»Bin ich froh, daß du kommst!« sagte Cale zu Ruth. »Wir haben uns gerade über Schweinebauch unterhalten. War das langweilig! Du möchtest etwas trinken? Cowboy Taggert kann sehr nette Gin-Tonics mixen. Sie sind warm und schwach.«
Kane beruhigte sein heftig pochendes Herz und zwang sich, nicht hinzusehen, weil dieses schreckliche Weib direkt neben Ruth stand. »Ich mixe Ihnen jeden Drink, den Sie wünschen, Ruth«, sagte er.
»Etwas Weißwein«, sagte Ruth geziert, »aber kalt.« Kane lächelte sie an.
»Schon verliebt«, murmelte Cale.
Kane nahm sich vor, so zu tun, als wäre sie gar nicht da. Vielleicht würde sie dann merken, daß sie unerwünscht war, und Ruth und ihn allein lassen.
Er reichte Ruth das Weinglas, schaute ihr tief in die dunklen Augen und stellte sich vor, wie ihre ausgebreiteten Haare auf einem Kopfkissen aussahen.
»Wie die Turteltauben«, sagte Cale.
Kane wandte sich ab. Ruth sollte nicht sehen, daß er vor Wut puterrot geworden war. Als er sich wieder einigermaßen gefaßt hatte, trat er ans Fenster, in der Hoffnung, Ruth würde sich dort zu ihm gesellen. Sie tat es auch. Wenn er ihr jetzt den Arm um die Taille legte, würde das doch ganz unverfänglich wirken. Sie ähnelte seiner verstorbenen Frau so sehr, daß er genau wußte, wie schön das wäre. Aber die Anwesenheit der anderen Frau schreckte ihn ab. Solange sie da war, kannte er sich selbst nicht mehr. Er vermied, Ruth zu berühren.
Durchs Fenster sahen sie, wie Sandy, zwei gesattelte Pferde am Zügel, auf das Haus zukam.
»Wer ist das?« erkundigte sich Ruth.
»Sandy. Eigentlich heißt er J. Sanderson.« Mit verzücktem Lächeln betrachtete Kane, wie die Abendsonne auf ihrem Haar spielte. »Da kein Mensch weiß, was das J. bedeutet, sagen wir immer Sandy zu ihm. Er ist ein entfernter Verwandter von mir.«
Cale spähte an Ruth vorbei und fragte Kane: »Welcher ist denn Ihr Verwandter? Der mit dem braunen Sattel oder der mit dem schwarzen?«
Kane wußte nicht mehr, was er tat. Er sprang über einen Stuhl und stürzte auf sie zu. Mit einem Angstschrei hüpfte sie auf die Couch, sprang über die Lehne und raste zur Tür. Kane holte sie ein, als sie mit Sandy zusammenprallte, der gerade zur Tür hereinkam. Mit einem Sprung war sie hinter Sandy, legte die Hand auf seine Hüften und benutzte ihn als Schutzschild.
Kane war vor Wut außer sich. Das sollte dieses Weib ihm büßen! Er griff um Sandy herum nach ihr. Sie entwand sich ihm. Daraufhin stieß er Sandy weg.
»Kane!« schrie Sandy ihn an. Er war vielleicht der einzige, auf den Kane in seinem Wutanfall hören würde. Denn Sandy hatte ihn schon gekannt, als er noch in den Windeln gelegen hatte.
Kane hatte das Gefühl, aus einem Alptraum zu erwachen. Erschrocken wurde ihm klar, was er beinahe angerichtet hätte. Blinzelnd
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