Was mit Hass begann
der große Cowboy wie ein schreckenerregender Yeti durchs Unterholz und steuerte mit wutverzerrtem Gesicht genau auf mich zu. Was nun? dachte ich. Warum in aller Welt war er diesmal auf mich zornig?
Wie nicht anders zu erwarten war, warf sich Ruth in die starken Beschützerarme des Cowboys, weinte ausgiebig, wobei sie darauf achtete, daß ihr Make-up nicht verschmierte, und flehte ihn an, sie zu retten. Taggert hielt sie fest, tätschelte mit der anderen Hand das arme Pferd mit den Brandwunden und warf mir finster drohende Blicke zu. Wie würde Ruth sich wohl herausreden, wenn ich ihr sagte, daß ich ihre Missetat mitangesehen hatte?
»Du hättest mich rufen müssen«, quetschte Taggert zwischen aufeinandergebissenen Zähnen hervor.
Mir gingen gleichzeitig ungefähr tausend Antworten durch den Kopf. Ich hätte ihm die Wahrheit über seine Angebetete erzählen können. Ich hätte darauf hinweisen können, daß Ruths schönes Gesicht jetzt vielleicht von einem Pferdehuf verunziert wäre, wenn ich um Hilfe gerufen und auf ihn gewartet hätte. Schließlich verzichtete ich darauf, mich zu verteidigen. Ich sagte nur: »Du bist ein echter Trottel, weißt du das? Ein richtiger alter Dorftrottel.« Dann ließ ich den Zügel los und schlug mich in die Büsche.
Es gibt wohl nichts auf der Welt, was einen tieferen, heißeren Zorn auslöst als eine falsche Anschuldigung. Ich glühte innerlich wie die Überreste eines stundenlangen Feuers. Wenn mir jetzt noch jemand ein dummes Wort gesagt hätte, wäre ich wohl explodiert und hätte den ganzen Wald in Brand gesetzt. Mit geballten Fäusten, ohne Blick für meine Umgebung, stand ich im Unterholz und kam mir wie ein Märtyrer vor. Es war so ungerecht! Es war wirklich furchtbar ungerecht.
Aber bei mir dauert ein Zornesausbruch nie lange. Auch diesmal nicht. Innerhalb von Minuten hatte ich ihn in mich hineingefressen und unterdrückt. Dennoch stand ich noch zitternd vor Aufregung und Erschöpfung da, und zu meinem Ärger hatte ich Tränen in den Augen.
Dann hörte ich, wie sich jemand hinter mir näherte. Ich trocknete mir mit dem Handrücken die Augen ab und sah Sandy kommen. Seine Miene war besorgt.
»Ich weiß auch nicht, was mit Kane los ist«, sagte er. »Normalerweise ist er nie so. Normalerweise ist er ...«
Regel Nr. 1 in meinem Elternhaus: Laß dir deinen Schmerz nicht anmerken! Wenn sie wissen, daß sie dir weh getan haben, werden sie sich bemühen, dir noch mehr weh zu tun.
Ich zwang mich zum Lächeln und zu einem unbefangenen Ton. »Es liegt an mir. Ich behandle die Männer grundsätzlich falsch. Hätte ich vor Angst laut geschrien und entsetzt die Hände vors Gesicht geschlagen, würde er mir vermutlich jetzt Brandy einflößen und mich streicheln.«
Sandy lachte. »Höchstwahrscheinlich.« Er hielt kurz inne und fragte dann: »Was ist diese Ruth für eine Frau?«
>>Ich konnte nur die Augen zum Himmel heben. Sollte ich ihm erzählen, daß sie ihre Zigarette auf dem Pferdehals ausgedrückt hatte?
»Kane...«, sagte Sandy stockend. »Ich glaube, er sucht eine Frau.«
Vor meinem geistigen Auge tauchte wieder das Bild Ruths in der Küche auf. Schlagartig besserte sich meine Stimmung. Aber anlügen wollte ich diesen Mann nicht. Er war bisher so nett zu mir gewesen, daß er das nicht verdiente. »Und er bildet sich ein, er könnte Ruth zu seiner Frau machen? Ruth ist nur auf Eroberungen aus, und danach sucht sie sich ein neues Opfer.« Vor wenigen Minuten erst hatte ich Ruth zum zweitenmal vor schweren Verletzungen bewahrt, und zum zweitenmal hatte der Cowboy mich dafür auch noch beschimpft. »Ich glaube, sie passen gut zueinander. Ich hoffe nur, daß sie ihm das Herz bricht.«
Sandy schwieg eine Weile und fragte dann: »Bist du denn verheiratet?«
Ich wußte, daß er dabei an Kane dachte, der für ihn fast so etwas wie ein Sohn war. Wie ist es nur möglich, daß manche Menschen allgemein geliebt werden, ganz gleich, was sie tun, und andere nicht? Absichtlich tat ich so, als hätte ich ihn mißverstanden. »Soll das ein Heiratsantrag sein?«
Sandys Antwort war völlig ehrlich gemeint. »Wenn ich zehn Jahre jünger wäre, würde ich dir einen machen und nicht locker lassen, bis du ja sagst.«
Mein Lachen klang etwas gezwungen. Doch ich kann nicht leugnen, daß ich mich geschmeichelt fühlte. »Das glaube ich dir nicht«, sagte ich ehrlich. »Du würdest mich nicht heiraten wollen. Ich sage dir auch, warum. Ich tauge nicht zur Ehe, weil ich zu tüchtig bin.
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