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Was mit Rose geschah

Was mit Rose geschah

Titel: Was mit Rose geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stef Penney
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Anweisungen zu erinnern.
    »Haben Sie sich den Kopf gestoßen, Mr Janko?«
    »Nein. Helfen Sie mir nur hoch. Na los. Geht schon.«
    Ich untersuche sein Gesicht auf Anzeichen eines Schlaganfalls, doch es kommt mir ganz normal vor.
    »Vielleicht sollte ich einen Krankenwagen rufen …«
    »Nein, nein, nein. Ich bin nur gefallen. Helfen Sie mir hoch!«
    »Welchen Tag haben wir heute?«
    »Verdammt noch mal!«
    Ich schiebe die Arme unter seine Achselhöhlen, verschränkedie Hände und hieve ihn hoch. Ich habe Angst, etwas falsch zu machen. Andererseits – er ist gelähmt, es kann für ihn wohl kaum schlimmer kommen. Er ist schwer, aber ich spüre erschüttert seine Knochen, klein und spitz in ihrer Hülle aus Fleisch. Ich habe Angst, ihm etwas zu brechen, wenn ich zu fest zupacke. Wir geraten in eine peinliche Pantomime, bei der ich ihn aufrichte und so festhalte, dass er seine Hose richtig hochziehen und schließen kann. Dann endlich sitzt er in einer einigermaßen würdevollen Haltung im Rollstuhl. Er sieht ungesund aus, sein Gesicht ist viel blasser als sonst.
    »Wie lange haben Sie auf dem Boden gelegen?«
    Meine Stimme klingt scharf. So habe ich mit meinem Vater gesprochen, wenn er nicht auf sich achtgab.
    »Nicht lange.«
    »Wie lange, Mr Janko?«
    »Sie sind alle weggefahren … und es war niemand mehr da …«
    »Wann war das?«
    »Oh, ich weiß nicht. Es ist nicht lange her.«
    »Na schön. Ich mache Ihnen einen Tee.«
    »Endlich mal was Sinnvolles. Zu einer Tasse Tee würde ich nicht nein sagen.«
    In der winzigen Küche am Ende des Wohnwagens stelle ich Wasser auf und suche in den Schränken nach Bechern und Tellern. Ich finde Packungen mit Keksen und einen ganzen Schrank voller Chipstüten. Es gibt Teebeutel und H-Milch, Schokolade, eine Großpackung Mars-Riegel. Mein Vater war genauso – süchtig nach Salz, Fett und allem, was praktisch und ungesund war.
    Als ich mit Keksen und Teebechern zurückkomme, sieht Tene schon ein bisschen besser aus. Er gibt löffelweise Zucker in seinen Tee – ich zähle schon gar nicht mehr mit – und pustet darauf.
    »Ist nicht so einfach in einem Wohnwagen«, sage ich.
    »Oh, es gibt nichts Besseres.«
    »Aber es wäre viel einfacher, in einem Haus zu leben, oder? Einem Bungalow. Sie hätten viel mehr Platz … und keine Stufen. Sie kämen leichter hinaus und hinein.«
    Tene sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Ray, schauen Sie mich an. Ich bin sechzig. Ich habe mein Leben lang auf der Straße gelebt. Ich wurde in einem von Pferden gezogenen vardo geboren. Unsere Stute hieß Bryn, sie war meine beste Freundin, als ich ein kleiner Junge war. Einen Wohnwagen mit Auto haben wir erst bekommen, als ich dreißig war. Natürlich mussten wir mit der Zeit gehen. Das war damals so, sonst wurde man ausgelacht. Wir haben Bryn behalten, bis sie starb. Sie war eine echte Freundin.«
    Ich rechne rasch im Kopf. Natürlich gab es in den vierziger und fünfziger Jahren noch von Pferden gezogene Wagen. Bunt angemalte Schindelwagen waren die Norm. Zelte aus Weidengeflecht. Das hat mein Vater als Kind noch erlebt.
    »Können Sie sich Tene Janko in einem Haus vorstellen? Einer kleinen Ziegelkiste in einer Reihe anderer Ziegelkisten? Da kann ich mich ja gleich in den Sarg legen. Es wäre mein Tod. Sie wollten mich zwingen, es aufzugeben, als ich den Unfall hatte; sie haben ständig gesagt, du kannst nicht mehr im Wohnwagen leben, unmöglich. Es geht nicht! Na ja, ich habe es ihnen bewiesen, oder?«
    Ich nicke. »Ja, das haben Sie.«
    »Man kann einen Menschen nicht ändern. Ich wurde so geboren und werde so sterben. Aber das verstehen die gorjio nicht. Ich habe ihnen gesagt: Da könnt ihr mir genauso gut ein Messer ins Herz stoßen. Da hätte ich auch bei dem Unfall sterben können. Ich habe es im Blut. Wir alle. Sogar Christo. Wir haben es im Blut!« Seine Stimme klingt erbittert. »Sie nennen es ›Anpassung‹. Aber es wäre eher eine Auslöschung.«
    Er beißt energisch in einen Keks. Seine Augen funkeln. Immerhin hat der Zorn die Farbe in sein Gesicht zurückgebracht.
    »Was ist damals eigentlich passiert? Ich glaube, Sie sagten, es sei ein Autounfall gewesen.«
    Er senkt den Kopf und trinkt einen großen Schluck Tee.
    »War es, nachdem Rose gegangen war?« Stille. Die Stille vor einem Sturm? »Oder davor? Sie sagten, es war vor sechs Jahren, und ich habe mich gefragt …«
    »Was gefragt?«
    »Na ja, es muss eine sehr schwierige Zeit gewesen sein, mit Christo und allem

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