Was mit Rose geschah
denkbar, oder?«
Dr. Hutchins klopft mit dem Stift gegen die Schreibtischkante. Sie scheint in Gedanken versunken. Dann nimmt sie die Brille ab und kneift sich in die Nasenwurzel.
»Das ist interessant.« Sie zieht ein paar eng beschriebene Seiten hervor und studiert sie so lange, dass ich nicht sicher bin, ob sie überhaupt noch etwas sagen wird. Doch schließlich blickt sie auf und fragt: »Wie viel wissen Sie über forensische Knochenkunde?«
»Sehr wenig. Ich habe einige Artikel gelesen …«
Sie winkt ab. »Die Leute glauben immer, die Fakten seien offensichtlich. Geschlecht, Alter – alles klar erkennbar. Aber das stimmt nicht. Manche Skelette sind leicht zu deuten – wenn sie vollständig erhalten sind oder bestimmte Merkmale aufweisen. Aber es kommt selten vor, dass man allein anhand der Knochen eine Leiche hundertprozentig identifizieren kann. Selbst wenn Sie einen perfekt erhaltenen dimorphen Knochen aus dem Unterleib haben – sagen wir mal, das Schambein. Gemeinhin sagt man, bei der Frau sei das Schambein quadratisch, bei einem Mann dreieckig. Was aber, wenn es genau dazwischen liegt?«
Sie mustert mich, während sie spricht, zum einen, um meine Reaktion zu testen, zum anderen wohl auch, weil sie den Klang ihrer eigenen Stimme genießt. Ich sehe es ihr nach, dass sieuns hinhält; vermutlich musste sie sich diese Position hart erarbeiten.
»Und je jünger das Skelett ist, desto schwerer ist die Identifizierung. Allerdings sind nur wenige Skelette, mit denen ich zu tun hatte, so problematisch wie dieses hier. Natürlich haben wir bis jetzt auch nur ein paar Knochen. Und fast alle sind beschädigt. Aber es gibt noch andere Dinge, die die Untersuchung schwierig gestalten. Beispielsweise die Größe – die Knochen sind sehr klein, in mancher Hinsicht würde ich auf ein Kind tippen, doch andere Merkmale und die Knochenepiphysen lassen auf ein höheres Alter schließen.«
Sie legt eine Pause ein, gibt uns Zeit nachzudenken.
»Was glauben Sie, wie alt sie war?«, frage ich.
»Nun, eine Heranwachsende. Irgendetwas zwischen dreizehn und achtzehn; genauere Angaben kann ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht machen.«
»Gut … aber es ist ein Mädchen?«
»Aufgrund der Größe und Form der Knochen, die bisher gefunden wurden, würde ich sagen, dass sie eher zu einer Frau passen – definitiv kann ich das aber erst sagen, wenn wir einen dimorphen Knochen finden.« Sie wendet sich an Considine. »Haben Sie ihm erzählt, was wir gestern gefunden haben?«
Er schüttelt den Kopf.
»Was haben Sie denn gefunden?«, frage ich.
»Eine schmale Goldkette«, erklärt Considine. »Nicht sonderlich teuer und zerrissen. Sie befand sich in der Nähe einiger Rippenfragmente. Gut möglich, dass sie zum Zeitpunkt des Todes getragen wurde.«
»Vermutlich war es also kein Raubmord.«
»Da ist noch etwas. Etwas viel … Seltsameres.« Hutchins übernimmt wieder, gönnt ihm nicht, im Mittelpunkt zu stehen. Zu meiner Überraschung scheint er sich damit abzufinden. »Wir haben in der Nähe der Leiche Pflanzenreste entdeckt, was nur natürlich ist, aber dieser Fund war sonderbar. In etwa einemMeter Tiefe, also auf einer Höhe mit der Leiche, fanden sich einige Stängel, die mit einem Stück Faden zusammengebunden waren. Wonach hört sich das für Sie an?«
Ich komme mir vor wie bei einer Prüfung in der Schule. »Nach einem Blumenstrauß?«
Hutchins lächelt und wartet, dass ich fortfahre.
»Aber … wie kann das sein? In der Erde würden Pflanzen doch nicht so lange erhalten bleiben, oder? Sie würden sehr schnell verrotten.«
Ihr Lächeln wird breiter. »Gewöhnlich schon. Aber es handelt sich um Holzblumen – Chrysanthemen.«
Das Schweigen im Büro ist beinahe greifbar.
»Waren Sie … können Sie sagen, wie sie ausgesehen haben?«
»Nun, sie sahen ziemlich mitgenommen aus.«
»Waren sie handgemacht?«
Hutchins und Considine schauen sich an.
»Ich würde sagen, ja, und zwar sehr gut. Das war nicht die Arbeit eines Kindes.«
Mein Herz schlägt schneller, aber ich habe die Bedeutung noch nicht ganz erfasst. Ich suche nach den richtigen Fragen.
»Können Sie an den Knochen erkennen, ob jemand ein Kind geboren hat?«
»Ganz sicher kann man nicht sein. Aber wenn wir Beckenknochen hätten, wäre das ein guter Anfang; manchmal gibt es dort Spuren. Die Hoffnung stirbt zuletzt, nicht wahr, Considine?«
Considine schaut mich an. »Sie wissen, dass Zigeuner Holzblumen herstellen.«
»Na ja … es ist ein
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