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Was mit Rose geschah

Was mit Rose geschah

Titel: Was mit Rose geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stef Penney
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Madeleine niemals untreu und hat meines Erachtens nie auch nur daran gedacht –, ist es purer Masochismus meinerseits.
    Ich schalte die Nachttischlampe ein, die das Grau draußen wieder in Schwarz verwandelt. Es dämmert noch nicht. Ich blinzle, meine Augen sind klebrig. Mein Mund ist trocken, die Zähne fühlen sich rau an und schmecken nach Glutamat. Ich habe niemanden, mit dem ich um diese Uhrzeit reden kann. Hatte ich noch nie. Ich gehe ins Bad, trinke geräuschvoll aus dem Wasserhahn und spritze mir Wasser ins Gesicht. Ich will wieder ins Bett, halte aber inne, als ich das Spiegelbild im Fenster bemerke.
    Gestern überkam mich ein seltsamer Impuls. Auf dem Heimweg vom China-Imbiss ging ich an einem Zeitschriftenladen vorbei, der noch geöffnet hatte. Mein Blick fiel auf einen Flecken roter Blumen inmitten all der anderen in den Eimern. Ich kannte ihren Namen nicht, aber die Farbe und wächserne Beschaffenheiterinnerten mich irgendwie an Lulu. Ich kaufte alle roten Blumen und stellte sie zu Hause in den größten Krug, den ich finden konnte. Den platzierte ich so auf der Kommode, dass ich ihn vom Bett aus sehen kann. Lauter kleine rote Glöckchen mit blassen, sommersprossigen Kehlen; ein süßer, fast aufdringlicher Duft. Ich wollte mit dem Gedanken an sie einschlafen. Ich war glücklich. Warum hat mich der Traum so überfallen? Warum hat mich jene Erinnerung überwältigt, die immer noch die Macht besitzt, mir wehzutun?
    Das Zimmer, das sich im Fenster spiegelt, hat wenig mit der Wirklichkeit zu tun. Warmes Licht fällt auf die roten Blüten, die mit einer entsetzlichen Lebendigkeit pulsieren. Dahinter ist die Gestalt eines Mannes zu erkennen, eine schattenhafte, düstere Erscheinung. Als Jen mir schließlich von ihrer Affäre erzählte – den genauen Wortlaut habe ich vergessen –, begann sie zu weinen. Als hätte sie meine Reaktion ganz und gar nicht erwartet. Als hätte sie sich eingeredet, es wäre mir egal. Ich war beleidigt und tobte angesichts ihrer Dummheit: Wie konntest du nicht wissen, wie weh du mir damit tust? Wie konntest du so dumm sein? Am liebsten hätte ich geheult wie ein verwundetes Tier. Ich wollte ihr Auto anzünden. Das miese Arschloch, wer immer es auch war, mit einem Spaten erschlagen und Muster in seine schäbige selbstgerechte Visage ätzen. Vielleicht ist da draußen, in dem anderen Zimmer, der Mann, der genau das getan hat.
    Das Zimmer da draußen verströmt einen dunklen Zauber, der mich anlockt und gleichzeitig entsetzt; es ist der Zauber einer hohen Klippe, eines Wasserfalls, des Schmerzes, der hervorkriecht und mir genau dann eine Falle stellt, wenn ich glaube, ich hätte das Schlimmste überstanden. Ehrlich gesagt frage ich mich manchmal, ob ich überhaupt den Willen aufbringe, dem Schmerz zu entfliehen, oder ob dieser funkelnde Kummer auf ewig das tiefste und strahlendste Element meines Lebens bleiben wird.
    Ich weiß, dass ich nicht mehr einschlafen kann, und tapse in die Küche, um Kaffee zu machen. Als das Wasser kocht, fällt mir etwas ein, an das ich seit Jahren nicht gedacht habe: Zu Beginn unserer Ehe sind Jen und ich einmal am Ufer eines Sees in Schottland spazieren gegangen. Das Wasser war glatt und still, kaum eine Welle störte seine zerbrechliche Ruhe. Wir suchten am Strand nach flachen Kieseln und ließen sie über die Oberfläche hüpfen – was ich schon immer gut gekonnt habe. Jen ärgerte sich, weil sie darin einfach hoffnungslos war; ihre Steine plumpsten nahe am Ufer ins Wasser oder segelten durch die Luft. Ich wanderte am Wasser entlang und verbesserte ständig meine Leistung – sechs, sieben, neun … als mich plötzlich etwas mit voller Wucht zwischen den Schulterblättern traf. Ich schoss wütend herum und sah, dass Jen entsetzt die Hände vors Gesicht geschlagen hatte.
    »Tut mir leid, Liebling, tut mir leid!«, rief sie. »Das war schlecht gezielt! Es war ein Versehen!«
    Allerdings versuchte sie auch, ein Lachen zu unterdrücken. Ich lächelte, obwohl es wehtat und sich ein dunkelblauer Fleck entwickelte, über den wir Witze machten.
    Sie schaffte es nie, einen Stein hüpfen zu lassen. Sie konnte aus einem Meter Entfernung keinen Papierkorb treffen (»Das ist unfair – er hat sich bewegt!«). Doch wenn es darum ging, mich zu treffen, zielte niemand so gut wie sie.
    Endlich mal ein schöner Tag. Die Sonne ist herausgekommen, und der Frühnebel verdampft. Vom Zug aus sehe ich, wie das Sonnenlicht auf kleine Gräben und winzige Teiche fällt, die sich

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