Was mit Rose geschah
traditionelles Handwerk.«
Ich versuche, mich daran zu erinnern, ob ich in einem der Janko-Wohnwagen Holzblumen gesehen habe. Ich kann mich nicht entsinnen.
»Für sich genommen ist das noch kein Beweis.«
»Natürlich nicht.«
Wieder senkt sich Schweigen über den Raum.
Vielleicht ist es kein Beweis. Aber eine Tatsache. Und sie hat etwas zu bedeuten. Vielleicht bedeutet sie, dass die Leiche vom Black Patch nicht einfach verscharrt, sondern auch betrauert wurde.
52
JJ
Ich habe ein neues Hobby: mit dem Schlimmsten rechnen. Ich weiß nicht, was das Schlimmste ist, aber die letzten Wochen haben mich ziemlich mitgenommen. Was immer auch das Schlimmste sein mag, es ist nicht mehr fern. Furchtbare Dinge passieren – und das bilde ich mir nicht ein. Da ist natürlich die Sache mit Christo und Ivo und dass es Großonkel nicht gut geht und dass Mr Lovell und ich im Krankenhaus waren. Man hat irgendeinen armen Menschen tot auf dem Black Patch gefunden. Dann ist da der radioaktive Regen, der alle Schafe vergiftet. Die gigantischen Hagelkörner, die vom Himmel gefallen sind und Menschen getötet haben – ausgerechnet in Indien. Alles spielt verrückt. Ich kann morgens kaum aufstehen. Klar, es sind Ferien, also muss ich eigentlich auch nicht aufstehen, aber trotzdem. Mama fährt meistens gegen neun, wenn ich noch hinter den Vorhängen im Bett liege und vor mich hin döse. Sie hat es aufgegeben, mich anzuschreien. Dann stehe ich auf und esse ein kaltes Frühstück, das Mama mir hingestellt hat. Danach gehe ich meistens wieder ins Bett. Ich habe versucht zu lesen und zu wichsen und Musik zu hören und Videos anzuschauen, doch nichts fesselt meine Aufmerksamkeit so sehr wie das Nachgrübeln über all die furchtbaren Dinge, die uns zugestoßen sind oder bald zustoßen werden.
Ich rechne mit dem Schlimmsten, seit wir im Kinderkrankenhaus in London angekommen sind – genauer gesagt, seit wir heute Morgen mit dem Auto losgefahren sind. Christos Arzt ist ein junger Inder; er hat sehr dunkle Haut, ganz dichtes Haar, daswie ein Pelz über der Stirn hochsteht, und eine runde Brille mit Goldrand. Er spricht sehr präzise. Er scheint Christo zu mögen, und deshalb bin ich bereit, ihn auch zu mögen. Mama und ich sitzen am Rande eines Wartebereichs neben einer Art Kinderspielplatz. Er ist voll mit buntem Spielzeug, und die Wände sind bunt gestrichen. Es gibt sogar ein kleines buntes Klettergerüst. Ich nehme an, es ist für die Geschwister der kleinen Patienten gedacht. Aber es sind auch ein paar Kinder ohne Haare hier, das werden wohl Patienten sein. Es gibt viele kahlköpfige Kinder in diesem Krankenhaus. Als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, habe ich mich erschreckt; sie sehen aus wie kleine Aliens. Dann fiel mir ein, dass bei einer Krebsbehandlung die Haare ausfallen, und jetzt lächle ich ihnen zu, wenn sie mich anschauen. Ich habe aber ein schlechtes Gewissen, weil ich so dichtes Haar habe.
Heute will uns der Arzt etwas sagen, und ich wünschte, er würde sich beeilen.
»Du bist Christophers Halbbruder?« Der Arzt, der einen sehr langen Namen hat, an den ich mich nicht erinnern kann, schaut mich an.
Mama und ich nicken. Sie haben mich vorgewarnt, dass sie das im Krankenhaus erzählt haben. Ironischerweise könnte es sogar stimmen (worüber ich lieber nicht nachdenke).
»Wir glauben, dass wir Fortschritte im Hinblick auf eine Diagnose machen. Doch bevor wir sicher sein können, müssen wir die Testergebnisse an ein Krankenhaus in den Niederlanden schicken. Dort hat man die meiste Erfahrung auf diesem Gebiet. Wir halten es für eine X-chromosomale rezessive Erbkrankheit. Je mehr Informationen Sie uns über den Gesundheitszustand Ihrer Familie geben können, desto enger können wir sie eingrenzen.«
Mama sieht verwirrt und besorgt aus. Ich vermutlich auch.
»Eine was? Was ist das?«
»Eine erbliche Krankheit. Frauen können die Krankheit insich tragen und an ihre Söhne weitergeben. Nur Männer werden tatsächlich davon betroffen.«
»Weitergeben, wie …?« Mama sieht mich entsetzt an.
»Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.« Er schaut von ihr zu mir. »Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich die ersten Zeichen der Krankheit schon im frühen Kindesalter gezeigt hätten. Ihr Sohn scheint überhaupt nicht betroffen zu sein. Allerdings wäre es am besten, von Ihnen beiden Blutproben zu nehmen – besser gesagt, von möglichst vielen Angehörigen –, damit wir uns ein umfassendes Bild machen können.«
»Blut …
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