Was mit Rose geschah
richtig auf Lourdes freut. Immerhin ist er der lebende Beweis, dass es funktioniert. Er lächelte Christo an.
»Weißt du, wir müssen vorsichtig sein«, sagte ich. »Die baden einen in heiligem Wasser.«
»Ja … und?«
»Wir müssen aufpassen, dass er sich nicht erkältet. Die machen einem die Haare und alles nass. Wir müssen dafür sorgen, dass er es sofort danach trocken und warm hat. Nimm Handtücher oder so was mit.«
»Ja, okay.«
Ivo kniete sich hin und holte das Bettzeug aus der Schublade.
»Hast du deshalb schlechte Laune? Weil du dir Sorgen machst?« Ich wusste, dass ich mich auf gefährliches Terrain begab. »Es wird alles gut. Sieh dich doch an.«
»Ja …«
Es hat aufgehört zu regnen, und der Mond scheint hell durch das Fenster gleich bei mir – er beleuchtet den Rand der Vorhänge, und eine schmale Sichel aus Licht liegt wie eine Kralle auf meiner Brust. Dann kommt mir eine von Großonkels gruseligen Geschichten in den Sinn – eine der traurigsten und schrecklichsten Geschichten. Sie heißt »Die Krankheitsdämonen«. Demnach gibt es neun Dämonen, die alle Krankheiten der Welt verursachen – Erkältungen, Bauchschmerzen, Ekzeme, alles. Ich weiß nicht mehr, wie die Dämonen heißen, aber ich erinnere mich an einen namens Melalo, weil er mir die meiste Angst machte. Melalo war das älteste Kind des Dämonenkönigs und der Feenkönigin; ein zweiköpfiger Vogel mit scharfen Krallen, die einem das Herz herausreißen und es durch Wahnsinn und Gewalt ersetzen. Melalo bringt die Menschen dazu, einander zu ermorden und zu vergewaltigen. Mir bricht der Schweiß aus.Ich schiebe den Vorhang beiseite, damit die Kralle sich in einen runden Klecks verwandelt. Es gibt noch einen anderen Dämon namens Minceskro, der alle Blutkrankheiten verursacht, so wie die von Christo. Vielleicht sollten wir zu ihm beten. Vielleicht könnte ich heimlich zu ihm beten.
Ich frage mich, ob – so wie beim letzten Mal – ein Mensch sterben muss, damit ein anderer gesund wird. Ich glaube, es wäre nicht sehr christlich – obwohl im Alten Testament etwas von Auge um Auge steht. Aber Lourdes ist ja nicht das Alte Testament, oder? Hier geht es um Maria, die definitiv ins Neue Testament gehört. Und Maria würde wohl kaum ein Leben für ein Leben fordern.
Wenn sie es aber täte … wen würde es dann wohl treffen?
Großonkel? Oder mich? Wäre ich bereit, für Christo zu sterben?
Diese Frage möchte ich lieber nicht beantworten.
8
Ray
Leon zufolge war ihre Schwester Kizzy diejenige, die Rose am besten kannte. Kizzy Wood heißt jetzt Kizzy Wilson und lebt mit ihrer Familie auf einem städtischen Stellplatz bei Ipswich. Sie hat ihre Schwester seit der Hochzeit nicht gesprochen oder gesehen, wie sie mir bei einem kurzen Telefonat mitteilt. Es habe nicht viel Sinn, vorbeizukommen. Als ich erwidere, dass es mir keine Mühe mache, willigt sie eher unwirsch ein.
Ich bin seit Jahren auf keinem städtischen Stellplatz mehr gewesen. Dieser hier ist groß – es gibt über zwanzig Wohnwagen, ordentlich aufgereiht auf befestigten Abstellplätzen. Davor Blumenkübel. Ein großer Sanitärbereich. Neugierige Gesichter betrachten mich, als ich an die Tür klopfe. Eine kleine Frau öffnet mir, sie sieht älter aus als achtundzwanzig. Sie hat das Haar zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden, ihre Stirn ist von Sorgenfalten gezeichnet. Ich suche vergeblich nach einer Ähnlichkeit mit Rose: Kizzy Wilson hat rötlich blondes Haar, schockierend viele Sommersprossen, hervorspringende, zarte Wangenknochen und ein spitzes Kinn. Die einzige Gemeinsamkeit scheint der Mund zu sein: volle, gleichmäßig geschwungene Lippen; sehr weiße Zähne. Sie sieht aus, als hätte sie ein schönes Lächeln, das sie aber nicht zeigt. Ich stelle mich vor.
»Kommen Sie herein. Ich hatte Sie ein bisschen früher erwartet.«
Die Tür ist ziemlich weit hinten, gleich neben der Küche, wo Edelstahlschüsseln auf einer makellosen Arbeitsfläche stehen. Sie hat Gasherd und Kühlschrank, aber kein Waschbecken – dashat sich seit den Zeiten meines Großvaters nicht geändert. Die Wände sind mit glänzendem cremeweißem Resopal verkleidet. Es gibt einen richtigen Kamin mit Sims, in dem allerdings kein Feuer brennt, Spiegel mit ziselierten Blumenmustern an allen Wänden. Am hinteren Ende des Wohnwagens gibt es ein Fenster mit Spitzenvorhängen, davor eine U-förmige Sitzbank, auf der ich eine weitere Frau sitzen sehe. Mein Herz macht einen Sprung.
»Meine andere
Weitere Kostenlose Bücher