Was mit Rose geschah
Rezeption, und nach einem kurzen Gespräch brachte man sie in ein Untersuchungszimmer, vor all den Leuten, die schon seit einer Ewigkeit dasaßen. Da waren Typen mit Blut im Gesicht; andere lagen quer über den Stühlen – sie hätten auch tot sein können. Ich meine, es war wirklich pickepackevoll. Ich weiß nicht, ob es in der Notaufnahme immer so voll ist, vielleicht schon. Eine Schwester – sie war nett, nicht so versnobt wie die an der Rezeption – sagte im Vorbeilaufen, es sei »wie immer samstagnachts«.
Mama und ich setzten uns zu den Wartenden – viele waren betrunken (was sonst, es war ja Samstagnacht) –, während Ivo und Christo mit einem Arzt verschwunden waren. Einige Leute brabbelten und fluchten, einer stöhnte. Das Stöhnen fand ich ein bisschen übertrieben, denn wenn es ihm wirklich schlecht gegangen wäre, hätten sie ihn sicher schon mitgenommen, statt ihn stundenlang warten zu lassen. Ein anderer Mann brüllte herum und beschimpfte die Krankenschwestern ziemlich übel. Sie ignorierten ihn, und ich vermutete, dass er nicht richtig im Kopf war und nicht wusste, was er sagte. Die nette Schwester kam einmal vorbei und sagte: »Du bist dran, wenn du dran bist, Dennis«, woraus ich schloss, dass sie ihn kannte. Vielleicht kam er jeden Samstag her. Einmal sah ich mich um, da starrte er mich an. Seine Augen sahen schrecklich aus: Eins war rot, wo es weiß hätte sein sollen, und an seiner Nase klebte getrocknetes Blut. Er sah aus wie aus einem Horrorfilm: Der Tramp aus der Hölle . Ich drehte mich weg, als hätte ich ihn oder das schreckliche Auge nicht gesehen oder den Geruch von Pisse nicht bemerkt, den er verströmte. Ich hatte Angst, er würde mich anbrüllen oder etwas noch Schlimmeres tun.
Ich holte Kaffee aus dem Automaten, um uns wach zu halten. Er schmeckte nicht besonders – zu heiß und richtig bitter, selbst wenn man viel Zucker hineintat. Ich wollte Chips oder so, weilich wie immer kurz vor dem Verhungern war, aber wir hatten kein Kleingeld mehr. Ich jammerte Mama einen vor, weil sie keinen Fünf-Pfund-Schein wechseln wollte – er war alles, was sie noch hatte. Ich schmollte ein bisschen und begriff dann, dass ich wirklich egoistisch war und lieber an Christo denken sollte, der vielleicht richtig krank war, während es mir eigentlich gut ging, ich hatte ja nur Hunger. Die Stunden krochen dahin wie alte klapprige Tausendfüßler. Obwohl ich schier verhungerte, schlief ich irgendwann ein und erwachte, als Ivo und Mama miteinander flüsterten.
Sie schienen sich zu streiten. Laut Ivo wollten die Ärzte Christo im Krankenhaus behalten, um zu untersuchen, was mit ihm nicht stimmte. Ich hielt das für eine gute Idee, aber Ivo war wütend. Er sagte ständig: »Sie wollen nur herumschnüffeln.« Mama wurde ziemlich wütend und sagte, das Krankenhaus sei am besten für ihn. Ich war ihrer Meinung, sagte aber lieber nichts. Ivo war besonders sauer, weil er Formulare ausfüllen sollte – angeben, wo wir wohnten und so weiter –, und er hatte gelogen und sich eine Adresse ausgedacht, damit sie nicht merkten, dass wir Zigeuner sind. Aber sie stellten alle möglichen heiklen Fragen, beispielsweise nach dem Hausarzt, und da wir keinen haben, war auch das problematisch.
Schließlich fuhren Mama und ich gegen sechs Uhr nach Hause, als gerade die Sonne aufging, und ließen Ivo und Christo im Krankenhaus. Ich habe heute Morgen lange geschlafen. Es war schon nach zwölf, als ich aufwachte, praktisch Nachmittag. Eigentlich wollte ich mit Christo angeln gehen, das Wetter ist ideal dafür – feucht und mild. Ich kann mich nicht aufs Lesen oder Musikhören oder sonst was konzentrieren, sondern nur abwarten, was passiert.
Gegen fünf kommt Ivo endlich zurück und hat Christo dabei. Wir stürzen alle aus Großmutters Wohnwagen, wo wir gesessen und Däumchen gedreht haben.
»Wie geht es ihm?«
»Sollte er nicht im Krankenhaus bleiben?«
»Es geht ihm doch gut, oder?«
Ivo küsst ihn auf den Kopf. Christo schläft, aber sein Atem klingt besser als letzte Nacht.
»Sie haben ihm Antibiotika gegeben. Sie sagten, dass er ebenso gut nach Hause kann.« Ivo wirkt total erschöpft, mit dunklen Ringen um die Augen.
»Du musst dafür sorgen, dass er es warm hat. Ivo, warum schläfst du nicht eine Runde, und ich bringe Christo ins Bett?«
Mama berührt ihn sanft am Arm. Sie wirkt besorgt. »Das ist eine gute Idee. Du siehst fertig aus.«
»Mir geht es gut.«
»Na los, Ivo, leg dich hin.« Großmutter
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