Was mit Rose geschah
glaubten, und stellte mir insgeheim vor, er wäre wirklich mein Vater. Mama wollte ja nicht über den gorjio sprechen, der angeblich mein Vater ist – ich weiß nicht, wie er aussieht. Herrgott, ich kenne nicht mal seinen Namen. So wenig hat sie mir erzählt. Also dachte ich, dass Onkel Ivo und ich deswegen eine besondere Verbindung hätten und ich mich so gut mit Christo verstünde – bis ich älter wurde und darüber nachdachte und begriff, wie alberndas war. Ivo war erst vierzehn, als ich geboren wurde (und ziemlich krank).
Als wir aus Frankreich zurückkamen, habe ich Mama mal wieder nach meinem Vater gefragt. Sie sagte: »Wenn du älter bist, Schatz. Du hast genug im Kopf, mit deinen Prüfungen und allem.«
Manchmal frage ich mich, ob dieser gorjio überhaupt existiert.
Jedenfalls: Ivo. Seit ich mir so große Sorgen um Christo mache, weiß ich nicht mehr genau, was ich von Ivo halten soll. Ehrlich gesagt, ich bin wütend auf ihn. Ich weiß, dass er Christo liebt, aber er sollte mehr unternehmen, um ein Heilmittel zu finden. Die Fahrt nach Lourdes war ja gut und schön, aber sie hat überhaupt nicht geholfen. Das heilige Wasser im verbliebenen Kanister, auf dem noch mein Zettel klebt, wird immer weniger, aber Christo liegt mit einem Atemwegsinfekt im Bett. Er redet nicht und läuft nicht. Und Ivo lässt ihn nicht im Krankenhaus bleiben, wo sie vielleicht herausfinden könnten, was er hat. Was könnte es denn schaden? Nur weil er keine Krankenhäuser mag, heißt das nicht, dass man Christo dort nicht helfen kann. Ich habe das Gefühl, er denkt nur an sich.
Ich weiß gar nicht mehr, warum ich mir in Frankreich solche Hoffnungen gemacht habe. Ich kann nicht glauben, wie optimistisch ich vor ein paar Wochen in Lourdes gewesen bin. Es ist, als würde ich auf einen völlig anderen, viel jüngeren und naiveren und dümmeren Menschen zurückblicken.
19
Ray
Im Büro begrüßt mich Hen und klopft mir lächelnd auf die Schulter – er weiß, dass ich Geburtstag habe, und obwohl er, wenn es nach ihm ginge, vermutlich kein Getue darum machen würde, erkundigt er sich, von Madeleine angetrieben, ob ich etwas vorhabe.
»Ja.«
»Und das wäre …?«
»Geht dich gar nichts an.«
»Oh-ooo …« Er zieht den Vokal lächerlich in die Länge. »Die geheimnisvolle Frau?«
»Kann schon sein.«
»Hm, ich dachte nur, falls du nichts vorhast, bist du uns sehr willkommen.«
»Danke, aber ich habe wirklich etwas vor.«
Er sieht mich an. Anscheinend ist er zufrieden. Er besteht darauf, mich zum Mittagessen einzuladen.
Wir sprechen noch einmal über den Fall Rose Wood, obwohl es nicht viel zu sagen gibt. Ich habe mit Leon über Black Patch und Egypt Lane geredet, und obwohl er beides kannte, hatte er wenig beizusteuern. Genaue Daten wusste er nicht. Er war sich nicht einmal sicher, ob Rose jemals dort gewesen war. Eigentlich haben wir gar nichts in der Hand: Wir wissen nicht, wo sie verschwunden ist oder wann genau oder mit wem sie befreundet war, falls überhaupt. Wir haben keinerlei Beweise dafür gefunden, dass jemand sie seit jenem Winter vor sechs Jahren gesehen hat. Keine ihrer Schwestern hat angeblich auchnur eine Postkarte von ihr erhalten. Sie taucht in keinen offiziellen Unterlagen auf. Sie hat sich erfolgreich in Luft aufgelöst.
»Sie ist tot«, sagt Hen schließlich. »Es kann nicht anders sein.«
Damit bestätigt er, was ich allmählich auch glaube. Aber es gibt keine Anhaltspunkte dafür. Ich frage mich eine Sekunde lang, ob Rose überhaupt existiert hat. Dann seufze ich frustriert.
»Alle, mit denen ich gesprochen habe … reden so verdammt verschwommen daher.«
Er schwenkt seinen Becher und zieht die Augenbrauen hoch. Dann grinst er. »Vielleicht liegt sie auf dem Grund eines Sees.«
Ein Jugendfreund seiner Mutter hat die Leiche seiner Ehefrau vor einigen Jahren in einen Stausee geworfen. Er behauptete, sie sei mit einem ihrer diversen Liebhaber durchgebrannt, und niemand hegte einen Verdacht. Man fand sie erst, als der Stausee im Zusammenhang mit der Suche nach jemand anderem trockengelegt wurde. Die Frau war mit ihrer eigenen Seidenstrumpfhose erdrosselt worden. Seither finden Hen und ich Seen recht spannend. In diesem Fall kommt kein See vor, was aber nichts heißen will. Wenn Ehefrauen ermordet werden, stecken meist die Männer dahinter. Also Ivo Janko. Der heilige, liebevolle, schwer geprüfte Ivo.
Da klingelt das Telefon. Andrea stellt den Anruf durch.
Es ist Tene Janko. Er hat sich zu einer
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