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Was mit Rose geschah

Was mit Rose geschah

Titel: Was mit Rose geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stef Penney
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ist der Code für »Zigeuner verboten«.
    Ich hole meine Gummistiefel aus dem Kofferraum, steige über den Zaun und kämpfe mich durch dichtes Dornengestrüpp. Es ist dunkel unter den ausladenden Bäumen, aber ich erkenne den alten Kalksteinbruch – als hätte man ein Stück aus der Hügelflanke gebissen, eine weiße Klippe mit grünen Schlieren. Alles passt, aber ich weiß erst, dass es die richtige Stelle ist, als ich einen verrosteten Pick-up entdecke, der ausgehöhlt und ohne Räder inmitten von mannshohen Brennnesseln und Mädesüß gestrandet ist.
    Ich kann mir nicht vorstellen, was der Landbesitzer mit diesem Grundstück anfangen will. Aber darum geht es vermutlich auch nicht. Es geht darum, die Fahrenden woandershin zu schicken – egal wohin, und sei es nur über die Grenze zur nächsten Gemeinde. Oft wurde Land, das früher der Gemeinde gehörte und das die Fahrenden genau wie alle anderen benutzen durften, als Park oder Wohngebiet deklariert, um sie am Kampieren zuhindern. Felder wurden umgepflügt, um sie unbefahrbar zu machen. Betonmauern wurden hochgezogen. Bei Kizzy Wilson umgab eine Mauer den ganzen Stellplatz, damit man nicht hineinsehen konnte – und die Bewohner nicht hinaus. Trotz des offenen Eingangs hatte es etwas von einem Gefängnis.
    Mein Vater erzählte mir Geschichten davon, wie die gavvers – die Polizei – mit Traktoren kamen, um die Wohnwagen gewaltsam zu entfernen. Manchmal gaben sie den Leuten nicht einmal die Gelegenheit, ihre Sachen zu packen, so dass Glas und Porzellan zerbrach. Es hatte keinen Sinn, sich zu beschweren. Für Zigeuner gab es keine Entschädigung. Und bevor Sie fragen, es kommt immer noch vor.
    Ich versuche, ein Gefühl für diesen Ort zu bekommen – klein, abgeschieden, wie es die Jankos anscheinend mögen. Ich versuche, mir Tenes Westmorland Star hier vorzustellen – und einen weiteren Wohnwagen mit dem rätselhaften Ivo und der noch rätselhafteren Rose. Wo hätte sie sich wohl mit ihrem gorjio getroffen? In Seviton? Im White Hart? Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein schüchternes Roma-Mädchen allein in einen Pub gehen würde. Oder ist sie nie hier weggekommen? Ist ihr hier etwas zugestoßen, im Schutz der Bäume? Der aufragenden Klippe?
    Zurück im White Hart setze ich mich vor den elektrischen Kamin, trinke einen Bell’s Whisky, um mich wieder aufzuwärmen, und beginne mit dem Mann zu plaudern, der mir von allen am ältesten vorkommt. Er erinnert sich mit leiser Wehmut daran, dass Egypt Lane früher ein Stellplatz war, aber nicht daran, dass er je Black Patch geheißen hätte. Auf meine Frage, ob es in der Gegend noch andere öffentliche Plätze gebe, lacht er nur. Dann sieht er mich eindringlich an.
    »Wieso interessieren Sie sich überhaupt für Zigeuner?«
    »Ich suche eine junge Frau, die hier in der Gegend zuletzt gesehen wurde.«
    Ich zeige den Gästen das Foto von Rose.
    Kopfschütteln. Mein neuer Freund zuckt gleichgültig mit den Schultern.
    »Ich bezweifle, dass jemand aus dem Dorf die Leute kannte, die hier gelagert haben. Es war ein ständiges Kommen und Gehen. Woher soll man da wissen, dass jemand verschwunden ist? Man muss doch ein Zuhause haben, aus dem man verschwinden kann, oder? Wie soll man das bei denen überhaupt mitkriegen?« Er schüttet sich aus vor Lachen.
    »Sie hatte Familie. Von da ist sie verschwunden.«
    Leon hat recht; es sind zwei verschiedene Welten. Roma und gorjios leben nebeneinander, aber nicht miteinander. Viele Leute wissen gar nicht, dass es in diesem Land noch fahrendes Volk gibt, bis ein Boulevardblatt wegen schmutziger Stellplätze oder betrügerischer Teerkolonnen Alarm schlägt. Sie stellen sich die Zigeuner gern als etwas aus der Vergangenheit vor, so wie Krüge mit Met und Pferdewagen, die jede Woche die Kohle bringen. Malerisch, aber ausgestorben.
    »Es waren sowieso keine echten Zigeuner – eher Diebe und Schmarotzer.«
    »Ich wusste nicht, dass es echte und unechte Zigeuner gibt.«
    »Seit ich denken kann, waren hier keine echten Zigeuner mehr. Echte Romany, meine ich. Und ich wohne schon mein ganzes Leben hier. Die gibt es hier nicht.«
    Ich weiß nicht, wie oft ich schon diesen Quatsch über echte Zigeuner gehört habe. Alle mögen die echten Zigeuner. Niemand kann genau sagen, was das ist, aber alle sind sich sicher, dass es keine mehr gibt. Aus ihrer Gemeinde vertreiben wollen sie die Leute, die … anders sind. Meistens versuche ich, neutral zu bleiben. Immerhin bin ich beruflich hier. Aber ich

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