Was mit Rose geschah
gehen, wenn’s nötig ist, aber das kommt nicht sehr oft vor. Mama ist nicht so eigen, was ihre Sachen angeht. Früher habe ich mit ihrem Schmuck gespielt, alle ihre Ohrringe und Armbänder aus dem Schmuckkästchen herausgenommen und auf dem Boden ausgebreitet. Später habe ich noch ein paarmal ihre Sachen durchsucht. Ich bin nicht stolz darauf, aber sie hat es sicher nicht gemerkt. Ich habe nie etwas anderes gefunden als das, was man bei einer Frau erwarten würde. Ich dachte, vielleicht hat sie ein Foto von meinem Dad oder eine andere Erinnerung, irgendeinen Hinweis, aber ich habe nie etwas gefunden. Ich kann Mama und Ivo nicht folgen, wenn sie mit dem Auto wegfahren. Ich kann nur Fragen stellen, die nicht zu offensichtlich klingen. Das habe ich versucht. Bislang ohne Erfolg.
Als ich heute aus der Schule komme, verkünde ich, dass ich angeln gehe. Ich nehme die Rute und angle auch ein bisschen, aber nichts beißt an. Ich hole mir nur einen nassen Hintern, weil ich im Gras gesessen habe. Als es endlich dunkel ist, gehe ich zurück und halte mich dicht bei den Bäumen, damit sie mich nicht sehen.
In Großonkels Wohnwagen läuft kein Radio, was vermutlich heißt, dass Großmutter und Großvater ihn mit ins Pub genommen haben. Vielleicht sind alle weg. In Ivos Wohnwagen brennt kein Licht. Ich schleiche mich an, bleibe stehen und schleiche weiter, bis ich genau unter seinem Fenster stehe. Die Vorhänge sind geschlossen, und sosehr ich mich auch bemühe, ich kann nicht hindurchsehen. Dann höre ich eine Stimme, aber sie klingt nicht nach Ivo. Vielleicht hat er den Fernseher an. Die Stimme klingt komisch. Jemand stöhnt. Vielleicht ist es ein Thriller.
Dann habe ich das Gefühl, als hätte mir jemand einen Eiswürfel hinten ins Hemd geworfen. Denn der Fernseher läuft gar nicht. Die komischen Geräusche dort drinnen kommen voneinem Menschen. Es hört sich an, als würde jemand gleichzeitig stöhnen und sprechen. Ich versuche, etwas zu verstehen, vergeblich. Im Grunde klingt es nicht mal wie Englisch. Vielleicht ist es Romani, aber da kenne ich nur wenige Wörter. Es ist das seltsamste Geräusch, das ich je gehört habe. Allmählich mache ich mir Sorgen – wenn es Christo nun wieder schlechter geht? Es klingt nicht nach ihm, aber … Oder wenn Ivo krank ist? Vielleicht ist ihm etwas zugestoßen, und Christo kann ihm nicht helfen.
Dann trifft mich ein anderer Gedanke wie ein Faustschlag. Was, wenn Mama mit Ivo dort drinnen ist, nachdem alle ins Pub gefahren sind? Was, wenn sie …
Instinktiv gehe ich ein paar Schritte weg und kehre dann zum Wohnwagen zurück, als wäre ich gerade erst gekommen. Ich stampfe absichtlich laut, trete gegen Dinge, mache Lärm und huste … was mir gerade in den Sinn kommt. Ich gehe bis zur Tür und hämmere dagegen. Das Stöhnen hört auf, aber keiner sagt was. Ich klopfe noch einmal.
»Ivo? Bist du da?«
Stille.
»Ivo?«
Noch immer Stille. Dann ein scharrendes Geräusch.
»Ivo?«
»Nicht jetzt, Kleiner.«
»Alles in Ordnung?«
Stille, dann öffnet sich die Tür einen Spalt breit. Ivo späht hindurch.
»Klar doch. Bin ein bisschen müde. Christo schläft.«
»Ach, ich dachte nur, ich hätte was gehört … ich dachte … geht es ihm gut?«
»Ja. Alles bestens.«
Er will mich offenbar loswerden, aber ich rühre mich nicht vom Fleck. Schließlich zuckt er mit den Schultern und winkt mich herein. »Wenn du schon hier bist.«
Ich gehe rein. Mama ist nicht hier. Der Wohnwagen sieht seltsam aus, aber ich weiß nicht, wieso. Dann kapiere ich es – das einzige Licht kommt von den Kerzen auf dem Tisch.
»Funktioniert der Generator nicht?«
»Doch.«
Dann begreift er, wieso ich gefragt habe.
»Ach so … die Kerzen. Nein. Es ist nur … sieh mal.«
Christo liegt mit offenen Augen auf dem Bett. Mich überläuft ein Schauer, als ich ihn dort im Kerzenlicht sehe und an die seltsamen Geräusche denke. Eine Hand scheint sich um meine Kehle zu legen – so fühlt es sich jedenfalls an –, und ich gehe zu ihm hin, bin einen Sekundenbruchteil überzeugt, dass er tot ist … aber dann dreht er den Kopf und schaut mich mit seinen großen braunen Augen an. Er lächelt.
Ich will weglaufen, suche nach einer Ausrede, aber ich kann Christo nicht zurücklassen.
»Was ist hier los?«
Ivo schaut mich über die Kerzen hinweg an. Es ist komisch; der Wohnwagen wirkt größer, wenn man nicht so viel davon sieht, und sein Gesicht sieht seltsam aus, glatt und blass, als wäre er aus Wachs. Seine
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