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Was mit Rose geschah

Was mit Rose geschah

Titel: Was mit Rose geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stef Penney
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Augen sind schwarze Zwillingsspiegel, die die Kerzenflammen reflektieren.
    »Als wir nach Lourdes gefahren sind, haben wir gehofft, Chris würde sich erholen. Wir haben auf ein Wunder gehofft. Aber es ist nicht passiert. Du hattest recht.«
    Ich zucke mit den Schultern, als hätte ich den Gedanken nie erwogen. »Vielleicht ist es nur bis jetzt noch nicht passiert. Möglicherweise dauert es eine Weile … genau wie bei dir.«
    »Wenn überhaupt, geht es ihm schlechter.«
    Er schaut Christo an, der ganz brav und still daliegt. Geduldig. Er bittet nie um etwas. Jammert nicht. Ivo sieht ganz anders aus, wenn er Christo anschaut. Weicher. Ich wünschte, ich könnte ihm widersprechen.
    »Ich wollte mir einreden, dass es nicht stimmt, aber es gehtihm schlechter. Ich kann es nicht ertragen, ihn leiden zu sehen. Ich weiß, dass es wehtut … und es ist alles meine Schuld. Ich habe ihn dazu gemacht.«
    Seine Stimme verändert sich, wird heiser. Seine Hand fährt ungeduldig durch die Luft. Entsetzt begreife ich, dass er weint. Ivo. Voller Schrecken sehe ich, wie eine Träne über seine Wange rinnt.
    »Es ist doch nicht deine Schuld. Wir können es nicht ändern.«
    »Ich hätte nie – «
    »Du konntest nichts tun. Es ist nicht deine Schuld!«
    Es ist furchtbar. Am liebsten würde ich die Hand ausstrecken und ihn berühren – am Ärmel oder so. Noch nie habe ich ihn so durcheinander erlebt. Aber wir reden hier von Ivo, also mache ich gar nichts.
    »Also …« Er senkt den Blick und schnieft laut. »Also, das klingt vielleicht verrückt, aber es ist nicht verrückter, als wenn man ein Wunder erwartet. Wir sind Zigeuner. Dies ist unser Fluch. Also sollten wir ihn vielleicht mit Zigeunermitteln heilen. Hast du je gehört, dass Kath oder Tene vom chovihano gesprochen haben?«
    »Nein.«
    »Der chovihano ist ein Medizinmann. Ein Heiler, wie ein Schamane – weißt du, was das ist?«
    Ich sage: »Schamanen leben in der Arktis. Sie können sich in Bären und so verwandeln. Und fliegen.«
    »Ja, so in etwa. Ein chovihano ist der Schamane bei den Zigeunern. Jemand, der Krankheiten austreiben kann.«
    Ich habe Bilder von brodelnden Kräutersuden vor Augen. Sezierte Kröten und Pflanzen mit Namen wie Traumkraut und Affodill. Ich starre auf den Tisch, wo sich die Kerzenflammen in einer Schüssel mit dunkler Flüssigkeit spiegeln. Es ist noch schlimmer, als ich dachte. Ich weiß gar nicht, wo ich hinschauen soll, bloß nicht zu Ivo.
    »Nach den alten Lehren … ist eine Krankheit nie nur eine Krankheit. Sie ist prikaza . Eine Art Strafe.«
    »Aber wieso sollte Christo bestraft werden? Er hat doch gar nichts getan!«
    »Die ganze Familie wird im Blut bestraft.«
    »Wofür?«
    Ivo schüttelt den Kopf. »Ich weiß es nicht. Aber wir tragen diesen Fluch seit Generationen in uns.«
    »Ach komm, Ivo …«
    »Ist das etwa verrückter, als nach Lourdes zu fahren?«
    »Bei dir hat es doch funktioniert, oder?«
    Er schweigt lange. »Was bei mir funktioniert hat, muss noch lange nicht bei ihm funktionieren.«
    Seine Stimme klingt leise und sonderbar. Als ich wage, ihn wieder anzuschauen, laufen ihm Tränen über die Wangen.
    Christo hustet.
    »Das also mache ich hier. Ich versuche, die Krankheit auszutreiben.«
    »Bist du ein … chovihano ?«
    Ivo lächelt, als würde er wenigstens ansatzweise begreifen, wie absurd die ganze Sache ist.
    »Meine Mama war eine – wusstest du das? Sie wusste alles über Kräuter. Übers Heilen. Sie hat mir ein bisschen was beigebracht. Es gibt Rezepte und so. Sie hat es aufgeschrieben. Es ist nicht gefährlich.«
    Er deutet auf die Schüssel mit der dunklen Flüssigkeit. Daneben steht ein Behälter mit Salz, und ich bemerke, dass alles voller Salz ist, als hätte er es im Wohnwagen verstreut.
    »Was ist da drin?«
    »Abgekochte Pflanzen.«
    »Oh.«
    »Ich dachte mir, wenn jemand dafür infrage kommt, dann ich.«
    Ich weiß nicht, was Ivo damit meint, und ich frage lieber nicht nach.
    Plötzlich tut er mir schrecklich leid. Er muss sich furchtbar hilflos fühlen. Das tun wir alle – aber er ist Christos Vater, das ist noch viel schlimmer.
    »Mr Lovell hat gesagt, dass er einen Kinderarzt in London kennt. Einen Spezialisten.«
    »Ach ja?«
    »Vielleicht sollten wir mit ihm darüber reden. Wenn alle zusammenlegen, können wir es uns sicher leisten.«
    »Ja, vielleicht.«
    »Es lohnt doch den Versuch, oder? Für Chris?«
    »Na schön.«
    »Also gut …«
    Ich lächle, um ihn aufzumuntern. Ich will, dass er wieder normal

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