Was mit Rose geschah
des Kindes erfahren hatte – und dass die Krankheit der Grund für ihr Verschwinden war.«
Hen zuckt mit den Schultern. »Sie geben ihr die Schuld. Das ist weniger peinlich als beispielsweise zuzugeben, dass man seine Frau geschlagen hat.«
»Du meinst also auch, dass sie lügen? Du siehst das genau wie ich?«
Hen lächelt. »Sieht so aus.«
26
JJ
Ich habe viel nachgedacht, seit ich Mama und Onkel Ivo zusammen in unserem Wohnwagen gesehen habe. Dabei wird mir ganz schlecht. Nicht dass sie etwas so Schlimmes gemacht hätten – ich weiß ja nicht mal genau, was sie gemacht haben. Aber es kommt mir vor, als hätte man mir den Boden unter den Füßen weggezogen; ich versuche, das Gleichgewicht zu halten, weiß aber nicht, ob es mir gelingt. Und seit dem Abend, an dem Ivo sein Hexendoktorzeug gemacht hat, bin ich noch mehr aus dem Gleichgewicht. Es hat keine erkennbare Wirkung gehabt, außer mir Angst zu machen: Christo geht es genau wie vorher.
Eine gute Sache aber ist passiert: Mr Lovell ist noch einmal zu uns gekommen und hat vorgeschlagen, dass Ivo mit Christo zu einem Spezialisten für Kinderkrankheiten nach London fahren soll. Ich musste das Thema nicht mal ansprechen. Anscheinend kennt er einen Arzt, der es umsonst macht. Es gab deswegen eine große Familienbesprechung – besser gesagt, für alle außer mich, denn obwohl ich sauber machen und meine Sachen alleine waschen und Verantwortung übernehmen muss – »Du bist jetzt vierzehn und kein Kind mehr« –, bin ich, wenn es um solche Entscheidungen geht, trotzdem noch nicht erwachsen.
Ich habe Mama darauf angesprochen, und sie meinte, du bist ja auch noch nicht erwachsen, oder? Du kannst nicht Autofahren und gehst noch zur Schule. Außerdem solltest du froh sein, dass du noch nicht erwachsen bist; es gibt Dinge, die du nicht weißt und lieber gar nicht wissen willst. Und ich sagte,wovon redest du? Vielleicht weiß ich sie ja schon, und sie sagte, nein, darüber weißt du nichts, da bin ich mir sicher. Und ich sagte, du weißt nicht, was ich weiß, und sie sagte, doch, das tue ich.
Danach war ich noch verwirrter und zermarterte mir den Kopf, was denn so schrecklich sein könnte, dass ich noch nie davon gehört habe (sie aber schon). Ich finde, ich weiß schon eine Menge schlimme Dinge, über den Holocaust und Krieg und Vergewaltigung und Folter – was kann denn noch schlimmer sein als das?
Dann fragte ich mich, ob sie wohl von Rose sprach. Irgendetwas musste passiert sein, sonst wäre sie nicht so spurlos verschwunden. Weshalb kam sie nicht zurück und besuchte Christo? Selbst wenn sie und Ivo sich zerstritten hatten und einander nicht mehr ausstehen konnten, ist Christo immer noch ihr Sohn, und sie würde ihn doch wohl sehen wollen.
Dann fiel mir ein, dass mein Vater mich auch nicht sehen will.
Mama sagt, bei Männern sei das anders. Es sei einfach so. Ich frage mich, weshalb ich diese beiden Menschen noch nie miteinander in Verbindung gebracht habe: Rose und meinen Vater. Rose hatte ein Baby mit einem Janko und verschwand. Mein Vater hatte ein Baby mit einer Janko … und verschwand. Einen wilden Moment lang gestehe ich mir einen verrückten Gedanken zu – dass Ivo mein Vater und Mama Christos Mutter ist –, bevor mir wieder einfällt, dass ich Rose ja kennengelernt habe. Sie existiert wirklich. Und ich hätte es wohl gemerkt, wenn Mama noch ein Baby bekommen hätte. Ich mag ja noch klein gewesen sein, aber ich bin kein Vollidiot.
Mir explodiert der Kopf, auch ohne dass ich mir Sorgen um meine Prüfungen mache.
Ich beginne meine Ermittlungen bei Großmutter. Mama hat bei ihr gewohnt – wenn auch in ihrem eigenen Wohnwagen –, als sie schwanger wurde.
»Darf ich dich was fragen?«
Großmutter schaut mich aus der Küche im Wohnwagen Nummer zwei an. »Das hast du gerade getan.«
»Hast du jemals meinen Vater kennengelernt?«
Großmutter legt die Möhren weg, die sie gerade schält. »Hast du wieder mit deiner Mama geredet?«
»Sie will es mir nicht erzählen.«
»Nun, es ist ihre Sache.«
»Nein, ist es nicht. Ich habe das Recht zu wissen, woher ich komme!«
»Ach, das Recht? Das einzige Recht, das du hast, ist zu tun, was deine Mama dir sagt.«
»Das ist nicht fair.«
»Das ganze Leben ist nicht fair.«
»Hast du ihn nun kennengelernt?«
»Nein, habe ich nicht. Wir haben ihn nicht gekannt, nicht mal seinen Namen. Wir haben weiß Gott versucht, es aus San herauszuholen, aber sie hatte solche Angst, dass ihr Vater hingeht und ihm
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