Was mit Rose geschah
»Wir können ihn nicht finden.«
»Vermutlich ist er nach draußen gegangen, um eine Zigarette zu rauchen.«
»Wir haben schon nachgeschaut. Er ist nirgendwo.«
Ich starre sie an. »Und der Junge?«
»Oh, sein Sohn ist noch hier, bei Dr. Sullivan. Vielleicht könnten Sie …?«
Ich suche den gesamten Häuserblock ab; schaue in jede Ecke; durchkämme die nächsten Häuserblocks; das nächste Tabakgeschäft; das Café, in dem wir uns getroffen haben … Ich kann mir nicht vorstellen, wo er sonst sein sollte. Oder wieso er weg ist. Als ich in die Praxis zurückkehre, haben die Empfangsdame und Gavin das gesamte Gebäude durchsucht, den Keller eingeschlossen.
Keine Spur von Ivo.
28
JJ
Mama tat immer sehr geheimnisvoll, wenn es um meinen Vater ging. Sie behauptete, sie wäre froh, den Mistkerl los zu sein, weil er sie schon vor meiner Geburt sitzen gelassen hatte. In etwa das Gleiche sagte sie auch heute beim Abendessen.
»Ich will doch nur wissen, wer er ist«, erwidere ich. »Ich weiß nicht mal seinen Namen. Ich … ich habe doch das Recht zu erfahren, woher die Hälfte meiner DNA stammt.«
»Das Recht? « Sie funkelt mich über unsere Teller mit Eintopf hinweg an und seufzt dann. »Ich weiß, dass er dein Vater ist, Liebling. Aber er hat mir das Herz gebrochen. Ich will nicht, dass er deins auch bricht.«
Ich merke, dass sie kurz davor ist, nachzugeben, also sage ich nichts.
»Du müsstest ihn zuerst einmal suchen. Und ich wüsste wirklich nicht, wo du anfangen solltest.«
»Ich sage ja nicht, dass ich ihn suchen will«, murmele ich. Ein erschreckender Gedanke. Von jemandem zu wissen, ist eine Sache. Ihn im wirklichen Leben vor sich zu sehen, eine ganz andere. »Wenn du ein Foto oder so etwas hättest …«
»Die Sache ist einfach. Ich habe keine Fotos, also kann ich dir auch keine zeigen. Du siehst ihm nicht ähnlich; du bist ein Janko durch und durch.«
Mein Herz setzt einen Schlag aus. Was meint sie damit?
»Sag mir einfach nur seinen Namen, Mama. Bitte.«
Sie seufzt wieder und schaut eine Ewigkeit auf ihren Teller. Mein Herz hämmert. Mein Mund ist trocken. Ich frage mich,ob es zu spät für einen Rückzug ist. Wenn sie nun etwas Furchtbares sagt, das ich nie mehr vergessen kann?
»Dieses Gespräch musste irgendwann kommen, das war mir schon klar. Aber, verstehst du … ich will nicht, dass man dir wehtut.«
»Weshalb sollte es mir wehtun, wenn ich seinen Namen weiß? Sitzt er im Gefängnis oder so?«
»Nein, nein, natürlich nicht! Das glaube ich jedenfalls nicht. Wenn man adoptiert worden ist, bekommt man die Informationen erst mit achtzehn.«
»Ich bin aber nicht adoptiert worden, oder?«
»JJ, er war ein … nun ja … du hast etwas Besseres verdient. Du verdienst den besten Vater der Welt, Liebling, aber den kann ich dir nicht geben.«
»Ich sage ja gar nicht, dass ich ihn suchen will, Mama. Nur den Namen. Ich bin vierzehn. Ich habe das Recht, ihn zu wissen.«
Mama schaut mich eine halbe Minute lang schweigend an. Ich stoppe die Zeit auf der gelben Uhr.
»Na schön, JJ … Er heißt Carl. Carl Atkins. Ich habe ihn in einer Disco kennengelernt. Wir waren ein paar Wochen zusammen. Er war ein gorjio , arbeitete bei einem Stuckateur. Ich hatte bis dahin noch keinen Freund und war vollkommen unerfahren.« Sie betrachtet ihren Teller, als könnte der ihr verraten, was sie damals schon hätte wissen sollen. Sie sagt lange Zeit gar nichts.
»Hast du ihn … geliebt?«
Sie lächelt traurig. »Er war mein Ein und Alles.«
»Warst du auch sein … Ein und Alles?«
Sie lacht beinahe, als hätte ich etwas Komisches gesagt. »Na ja, das hat er jedenfalls behauptet. Er sagte, er wollte mich heiraten.«
Sie zuckt mit den Schultern, was mir irgendwie wehtut. Es sieht aus, als läge eine unerträglich schwere Last auf ihnen.
»Ich war ein dummes Ding.«
»Wieso?«
Sie seufzt wieder. »Die alte Geschichte: ein junges, ahnungsloses Mädchen und ein schneidiger Typ, ein bisschen älter, der sie in Schwierigkeiten bringt … Dann findet sie heraus, dass er schon verheiratet ist.«
Ein furchtbares falsches Lächeln.
»Er war verheiratet? «
»Ja.«
»Wie konnte er?«
»Ach, Liebes … Männer können so etwas.«
»Aber wie … ich meine, wo war seine Frau?«
»Zu Hause. Er war beruflich unterwegs, keiner kannte ihn. Keiner wusste etwas über ihn.«
Mein Vater ist ein Arschloch. Damit muss ich jetzt klarkommen. Wenn ich nun bin wie er? Mir ist schlecht. Ich kann nichts mehr essen.
»Und du
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